EMPATHIE – DARF’S EIN BISSCHEN MEHR SEIN?

EMPATHIE: DARF’S EIN BISSCHEN MEHR SEIN?

Vor kurzem gab ich einen Workshop speziell für Frauen zum Thema „die eigenen Stärken erkennen und nutzen“. Als die Teilnehmerinnen ihre hervorstechendsten Stärken nennen sollten, sagte jede unabhängig voneinander: Empathie!

Auch auf meiner persönlichen Stärkenliste steht Empathie ganz oben (wäre für mich als Coach auch schlecht, wenn ich nicht darüber verfügen würde). Aber wenn ich mich in meinem direkten Umfeld und darüber hinaus umsehe, drängt sich mir immer mehr die Frage auf:

Wie viel Empathie tut mir gut – und ab wann bremst sie mich aus und schadet mir?

Um klar zu bleiben: Empathie ist für mich der Schlüssel, um Menschen zu verstehen, Nähe zu erzeugen und eine tiefe Bindung herzustellen. Empathie hilft mir, den Standpunkt des Anderen zu erfassen und die Perspektive wechseln zu können.

Empathie ist für mich die Grundvoraussetzung, um mit meinen Mitmenschen respektvoll, offen und herzlich umgehen zu können. Wenn mir Empathie fehlt und ich mich nicht in mein Gegenüber hineinversetzen kann, verhalte ich mich vermutlich egoistisch, kaltherzig und engstirnig. Dann sehe ich nur mich, meinen Standpunkt, meine Interessen und die für mich bequemste Lösung.

Jetzt denkt der ein oder andere vielleicht:

Na und, klingt doch super und erspart mir eine Menge Probleme!

Und das mag vielleicht sogar stimmen, gerade in der heutigen Zeit drängt sich mir immer mehr der Verdacht auf, dass unsere Gesellschaft vornehmlich aus egomanischen Zombies besteht, die unter dem Deckmantel der Selbstverwirklichung immer unfähiger werden, über ihren eigenen begrenzten Tellerrand hinaus zu blicken. Und irgendwie scheinen sie damit durch zu kommen, wenn man der makellosen erfolgreichen Fassade Glauben schenken will.

Empathie als überholter Trend?

Ist Empathie also heute zu einer alten und überholten Tugend geworden? Ist sie möglicherweise für unsere aktuelle Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß? Sollten wir uns alle nur noch auf uns selbst konzentrieren? Und viel wichtiger: Sind die Menschen, die auf Andere und deren Gefühle achten, nur gefühlsduselige Idioten, die nicht erkannt haben, dass einzig und allein der eigene Nutzen zählt?

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mich Empathie bereits des öfteren in eine Sackgasse geführt hat. Mein Gegenüber fand es toll, dass ich so nett und verständnisvoll war und es ihm damit so einfach gemacht habe. Verlassen, verarscht und verletzt wurde ich trotzdem. Und dann saß ich da als selbstloser Gutmensch gebrandmarkt, zerfressen von Enttäuschung, Trauer und Frust und habe mir Herz und Hirn zermartert, ob ich meine Empathie nicht endlich und endgültig über Bord werfen sollte.

Bringt ja alles nichts.

Wieviel Empathie tut mir gut?

Um es kurz zu machen: Das mit dem über-Bord-werfen funktioniert für mich nicht. Andere und deren Gefühle auszublenden, widerstrebt mir komplett – und das soll auch so bleiben.

Für mich ist und bleibt Empathie eine Stärke, die ich beibehalten möchte. Aber im Zuge meiner Erfahrungen habe ich für mich etwas Wichtiges gelernt: Empathie ist eine Stärke, die in einem gewissen Maß angewandt am besten wirkt.

Mir ist es oft passiert, dass ich so voller Empathie für mein Gegenüber war, dass ich mich selbst in der Wahrnehmung und Äußerung meiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse komplett ausgebremst habe. In diesen Momenten war nur der Mensch, der mir gegenüber saß, wichtig, seine Geschichte, seine Gefühle, seine Wünsche. Ich hatte ja so wahnsinnig viel verdammtes Verständnis.

Und so habe ich mich unbewusst ins worst-case-Szenario katapultiert.

Dann mutiert meine Empathie von einer Stärke zur Schwäche: Dann fokussiert sie mich so auf den Anderen, dass ich mich selbst komplett vernachlässige. Dann schade ich mir selbst und gewinne nichts. Und so weit sollte es wirklich nicht kommen.

Das richtige Maß finden

Diesen schmalen Grad zu erkennen und seinem Überschreiten achtsam entgegen zu wirken, ist mein persönliches Ziel, um meine Stärke der Empathie sinnvoll zu nutzen. Auf andere Menschen eingehen zu können, mitfühlen zu dürfen und sie dennoch nicht als Maß aller Dinge ständig über meine eigenen Bedürfnisse zu stellen. Offen für Andere zu sein, aber für mich selbst einzustehen und das auch nach außen zu vertreten.

Wenn mir diese Balance gelingt, kann ich mit meiner empathischen Begabung gesund haushalten und Andere davon profitieren lassen.

Ein Freund und Kollege, der sich auf provokatives Coaching spezialisiert hat, sagte vor zwei Jahren zu mir:

„Deine Über-Empathie ist echt zum kotzen! Was willst DU eigentlich?“

Dies waren natürlich nicht die Worte, die ich damals hören wollte, aber ich habe sie nie vergessen. Die Erinnerung an diesen harten Satz hilft mir, mich wieder auf Kurs zu bringen, wenn drohe, mich zu weit von mir zu entfernen und den Anderen zum Mittelpunkt meiner Welt werden zu lassen.

Offensichtlich habe ich diesen Klartext gebraucht.

WIE STEHT IHR ZUM THEMA EMPATHIE?

 

Bild: Ron Mader: Buzzword Bingo: Empathy Museum @ romankrznaric / flickr.com