Ein spannendes Interview mit meiner Kollegin Julia Heße.
Du bist diplomierte Opernsängerin und ausgebildeter Coach und hast Dich u.a. auf das spannende Thema EFT (emotional freedom technique) spezialisiert. Was hat Dich gerade an dieser Technik so interessiert und was kann damit bearbeitet werden?
Diese Technik ist für mich deshalb so spannend, weil damit sehr schnell und wirkungsvoll Ängste, Stress, negative Glaubenssätze und vieles mehr bearbeitet werden können. Als Opernsängerin habe ich selbst und auch im Austausch mit anderen Musikern immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ein entscheidender Faktor für ein erfolgreiches Berufsleben als Musiker bzw. Sänger vernachlässigt wird: die mentale Stärke und der Umgang mit Lampenfieber bzw. Auftrittsangst. Im Rahmen meiner Coaching-Ausbildung kam dann der Gedanke, mich – gerade wegen meines beruflichen Hintergrundes – mit diesem Thema näher zu beschäftigen. Welche Methoden und Techniken gibt es, die schnell und spürbar Nervosität und Ängste abbauen und mentale Stärke fördern? So stieß ich auf die EFT, die nicht nur bei Lampenfieber hilft, sondern grundsätzlich eine Methode ist, um Ängste, Blockaden und negative Emotionen positiv zu verändern. Man kann also nicht nur musikerspezifische Probleme damit bearbeiten, sondern alle Anliegen, die mit der Veränderung dysfunktionaler Emotionen und Glaubenssätze zu tun haben. Da meine Ausbildung in diesem Bereich, auch wenn sie natürlich auf deren Grundannahmen fußt, eine Weiterentwicklung der EFT ist, möchte ich sie hier viel lieber Embodiment- oder (etwas vereinfacht) Klopftechnik nennen. Embodiment heißt nichts anderes als „den Körper mit einbeziehend“ und beinhaltet, neben der EFT, noch viele andere und sehr wirksame Techniken.
Wie wirkt Embodiment bzw. das Klopfen und warum können wir damit auch allein für uns so gut arbeiten?
Die Annahmen, die dieser Technik zugrunde liegen, wurzeln in der TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin, die schon vor tausenden von Jahren davon ausging, dass Körper und Seele eine Einheit bilden. In unserer westlichen Medizin und Psychologie wurde lange getrennt: Wir haben einen Körper. Und dann haben wir noch eine Seele. Es gibt körperliche Erkrankungen auf der einen und psychische Störungen auf der anderen Seite. Aber schon in der TCM wurde die Beobachtung gemacht, dass sich über die Stimulation von Akupunkturpunkten nicht nur körperliche Beschwerden, sondern auch Emotionen verändern lassen. Körper und Seele sind nunmal untrennbar miteinander verbunden. Jeder kennt das: Wenn wir unter Stress stehen oder Angst haben, reagiert unser Körper unmittelbar, sei es mit Verspannungen, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden etc. Deshalb ist es nur logisch, auch den Körper an einer angestrebten Veränderung zu beteiligen. Mittlerweile ist es sogar wissenschaftlich erwiesen, dass, wenn wir uns haptisch, eben durch das „Klopfen“ bestimmter Punkten berühren, neuronale Bahnen im Gehirn unterbrochen werden, die mitverantwortlich für negativen Gefühle sind. Gerade die Kombination aus Gesprächs- und körperlichen Interventionen – beim Klopfen werden gleichzeitig selbstwertstärkende Affirmationen gesprochen – ermöglicht eine tiefgreifende und sehr schnelle positive Veränderung. Das Schöne an dieser Technik ist, dass sie der Klient jederzeit und genau dann anwenden kann, wenn er sie braucht. Denn das Klopfen der verschiedenen Punkte macht der Klient an sich selbst. Um es zu lernen, braucht es natürlich erst einmal eine Anleitung. Benutzen kann sie der Klient dann völlig eigenständig. Somit ist das Klopfen eine tolle Hilfe zur Selbsthilfe.
Wir leben gerade in einer Zeit, die uns emotional viel abverlangt. Große Unsicherheit, eine latente Angst, viele Einschränkungen, ggf. Konflikte mit anderen und eine Spaltung in unserer Gesellschaft. Es gibt viel, das wir aktuell irgendwie verkraften müssen.Wie kann uns Embodiment/Klopfen helfen, in Balance zu bleiben und mit Ängsten und vielleicht auch Wut konstruktiv umzugehen?
Die Klopftechnik dient zur Emotionsregulation. Gerade jetzt ist eine besorgte Grundstimmung bei vielen allgegenwärtig, aber ebenso Wut oder Frust über die vielen Einschränkungen oder das wenig verantwortungsvolle Verhalten mancher Mitmenschen. Da ist es nur natürlich, dass wir uns mit vielen unterschiedlichen Emotionen konfrontiert fühlen, die alles andere als angenehm sind. Wenn bei Emotionen aller Art das limbische System (unser Gefühlshirn) und z.B. bei Angst die darin liegende Amygdala (unser Angstzentrum) sehr aktiv sind, wird durch das Klopfen der verschiedenen Körperpunkte deren Aktivität gesenkt. Die Aktivität anderer Hirnareale (z.B. der Großhirnrinde) hingegen wird erhöht, was dazu führt, dass wir nicht in dieser emotionalen Negativschleife hängen bleiben. Die Großhirnrinde ist sozusagen unser „innerer Beruhiger“, der uns in diesen Situationen Mut zuspricht und auch etwas Rationalität und Abstand schafft. Das heißt nicht, dass wir Emotionen verdrängen, aber es wird uns durch diese Technik ermöglicht, eine andere Perspektive einzunehmen, die uns mehr Handlungsspielraum im Umgang mit unangenehmen Emotionen und schwierigen Situationen ermöglicht.
Machen wir das Ganze mal konkret. Angenommen, ich komme zu Dir, weil ich merke, dass mich die Angst vor Ansteckung und die Frustration über die aktuelle Lage immer mehr vereinnahmen. Wie arbeitest Du mit mir? Wie sieht der Prozess aus?
Ich versuche, nicht zu detailliert, sondern kurz und knackig, diesen sehr komplexen Prozess zu beschreiben. Meistens starte ich mit einer Balance- und Überkreuz-Übung der Hände bzw. Arme, die die Gehirnhälften besser miteinander vernetzt und vorbereitet. Dann würde ich dich bitten, die unangenehmen Emotionen wirklich hochkommen zu lassen und reinzuspüren. Es folgt eine Skalierung von 1-10: Wie belastend empfindest du das Gefühl, also Angst oder Frust? Das ist sinnvoll, um nach dem Klopf-Durchgang vergleichen zu können. Der erste und sehr wichtige Punkt des Durchgangs ist der sogenannte Selbstakzeptanzpunkt, der etwas unterhalb des Schlüsselbeins liegt und als einziger Punkt nicht geklopft, sondern gekrault oder gerieben wird. Hier wird ein Satz laut ausgesprochen, dessen Aufbau immer ähnlich ist. „Auch wenn…, liebe und akzeptiere ich mich, so wie ich bin“ oder „…bin ich total ok, genau so wie ich bin/bin ich ein liebenswerter Mensch“. In diesem konkreten Fall könnte der Satz lauten „Auch wenn ich gerade Angst habe und frustriert bin, bin ich richtig, genau so wie ich bin“. Dann starten wir das eigentliche Klopfen (jeder bei sich selbst) an den bereits erwähnten Hand-, Gesichts- und Körperpunkten. Ich mache vor und du machst einfach mit. Wichtig ist hier, dass du während des Klopfens an die negative Emotion denkst oder sie laut aussprichst. Also z.B.: „Meine Angst, mich anzustecken“ oder „Mein Frust über diese ganze Situation/diese vielen Einschränkungen“. Auch Körperempfindungen (Wo sitzt die Angst? Wo fühlst du den Frust körperlich?) können mit eingebaut werden. Nach dem Durchgang kann noch mit Augenbewegungen, ähnlich wie beim EMDR, gearbeitet werden. Dann folgt eine erneute Skalierung und wenn das Gefühl sich noch nicht deutlich oder auf das gewünschte Level verbessert hat, folgen noch ein oder zwei Durchgänge. Manchmal braucht das Gehirn einfach ein bisschen Zeit, um sich neu zu ordnen.
Ich nehme an, die meisten Deiner Klienten haben noch nie von Embodiment- bzw. Klopftechnik gehört: Wie wird das Thema grds. aufgenommen? Wie öffnest Du Klienten für diesen spannenden Prozess?
Die Klienten, die genau wie ich, aus der Klassik-Branche kommen, haben von dieser Methode oftmals schon gehört oder gelesen, eben weil sie u. a. so gut bei Lampenfieber und Auftrittsangst hilft. Diese Klienten kommen, weil sie genau diese Technik lernen wollen. Bei anderen Klienten, die noch nie davon gehört haben, ist es natürlich meine Aufgabe, erstmal genau zu erklären, was das eigentlich ist, wie es wirkt und auch ein bisschen Lust zu machen, sich darauf einzulassen und auszuprobieren. Verwerfen kann man danach ja immer noch. Manchmal sage ich dann: „Bei mir im Coaching können Sie gerne total kritisch sein. Aber bitte auch mindestens genauso neugierig!“
Wie ist das Feedback?
Sehr positiv. Eine Klientin, mit der ich zwei Tage vor einem Konzert, vor dem sie extrem aufgeregt war, ein Coaching gemacht habe, berichtete mir danach, dass sie es fast nicht glauben könne. Sie habe, kurz bevor sie auf die Bühne ging, für ein paar Minuten geklopft. Während des Konzerts habe sie sich richtig gut gefühlt und an sich selbst und ihrer Leistung fast nichts zu meckern. Bei dem Wort „fast“ musste ich schmunzeln. Klassische Musiker – natürlich nicht nur die – sind halt Perfektionisten. Aber so oder so ähnlich fällt das Feedback oft aus: Eine schnelle Wirkung, eine spürbare Erleichterung und das gute Gefühl, sich seiner Angst/seinem Lampenfieber o.ä. nicht mehr so ausgeliefert zu fühlen, sondern ein ganz konkretes Hilfsmittel an der Hand zu haben, wenn Not am Mann oder eben an der Frau ist.
Warum ist es in der aktuellen Krise so unglaublich wichtig, mit seinen Gefühlen in Kontakt zu sein und sich selbst positiv zu konditionieren?
Nicht nur in der aktuellen Krise – es ist m.M.n. immer wichtig, mit seinen Gefühlen in Kontakt zu sein, um sie zu hinterfragen, auf ihren Grund oder Ursprung hin zu überprüfen, um zu schauen, welches Bedürfnis dahinter steckt, das gerade von anderen oder auch von mir selbst vernachlässigt wird. Es ist wichtig, um handlungsfähig zu bleiben und – ja, vielleicht gerade jetzt – ein Stück weit das Gefühl der Kontrolle zu behalten. Wie oben schon erwähnt, kann das „Klopfen“ dazu beitragen, dass wir uns negativen Emotionen nicht so ausgeliefert fühlen. In der aktuellen Situation passiert es allzu schnell, dass wir uns von negativen Gefühlen und Gedanken runterziehen lassen. Für die eigene körperliche und seelische/mentale Gesundheit ist es daher extrem wichtig, seine Aufmerksamkeit ganz bewusst auf Positives zu lenken, dies dann ebenso bewusst und auch sinnlich (mit unseren Sinnen) wahrzunehmen und sich so gewissermaßen selbst zu konditionieren.
Wie oft kann/ muss ich diese Technik anwenden, damit sie wirkt?
In den allermeisten Fällen verschafft die Klopftechnik eine schnelle und sofort spürbare Erleichterung. Würde ich aber behaupten, dass es „sofort“, „immer“ und „bei jedem“ wirkt, wäre das unseriös. Wenn Klienten keine Besserung spüren, kann das daran liegen, dass das Problem komplexer ist und tiefergehende Verstrickungen vorhanden sind wie z.B. Vorwürfe an sich selbst oder an andere, Loyalitätskonflikte, die jemanden in einem Verhalten oder in Emotionen gefangen halten oder vergessene bzw. verdrängte Traumata. Auch das kann man mit der Klopftechnik bearbeiten, die Veränderung braucht dann aber etwas länger. In den weniger komplexen Fällen wird jedoch meist sehr schnell eine Veränderung spürbar. Langes, konsequentes Üben oder Trainieren ist dafür gar nicht nötig. Man kann es dann tun, wenn man es braucht.
Aktuell wollen viele so wenig vor die Tür gehen wie möglich. Arbeitest Du auch online?
Ja, ich biete auch Online-Coachings via Zoom oder Skype an. Natürlich würde ich immer den persönlichen Kontakt und das Gespräch face to face vorziehen. Aber besondere Zeiten erfordern nunmal besondere Maßnahmen und vor allem Flexibilität. Auch von uns Coaches oder Therapeuten.
Was möchtest Du unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Bleibt zuversichtlich! Lenkt Eure Aufmerksamkeit jeden Tag, auch wenn das gerade alles andere als leicht ist, ganz bewusst auf Positives. Tut etwas Gutes für euch und für andere. Etwas, das für euch ganz persönlich sinn- und wertvoll ist. Findet euren(!) Umgang mit dieser Situation: bei allem, was gerade unmöglich ist, gibt es Dinge, die möglich sind oder vielleicht erst jetzt möglich werden. Seid kreativ!
Julia Katharina Heße studierte klassischen Gesang an der Universität der Künste in Berlin. Seit 2008 ist sie festes Mitglied des Chores der Oper Frankfurt und übernimmt hier auch immer wieder solistische Partien. Sie ist ausgebildeter Personal und Business Coach, geprüfte Heilpraktikerin für Psychotherapie, Embodiment-Coach, Burnout und Resilienzberaterin und Trainerin für Progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Neben Themen, wie z.B. Stressmanagement, Resilienztraining, Entspannungs- und Visualisierungstechniken u.a., spezialisierte sie sich auf die Bereiche Auftritts-/ Lampenfieber-Coaching und Mentaltraining und arbeitet hier nicht nur mit Profi-Musikern, sondern auch mit Klienten, die im beruflichen oder privaten Kontext Vorträge, Reden oder Präsentationen halten und ihre Performance souveräner und erfolgreicher gestalten wollen.
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