Gelassenheit finden durch autogenes Training

Mein Kollege und Hypnocoach Bernd Dorst gibt uns eine einfache und praxistaugliche Einführung.

Du bist ausgebildeter Coach und Hypnotherapeut und vielseitig ausgebildet. Wie bist Du zum autogenen Training gekommen?
Ich bin schon sehr früh zum Autogenen Training gekommen, als ich als asthmakrankes Kind in einer Kur AT auf meinem Therapieplan stehen hatte. Nach nur 4 Wochen merkte ich schon die positiven Auswirkungen auf mein Asthma und bin dann anschließend bei der Methode hängen geblieben.  

Wie genau funktioniert es?
Wie das Wort „autogen“ (griechisch für „ursprünglich, selbsttätig“) schon andeutet, nimmt man beim autogenen Training selbsttätig eine Art Selbsthypnose vor. Das ist für gesunde Menschen ungefährlich. Im Autogenen Training gibt es 3 Stufen, die Grund-, Mittel- und Oberstufe.
Mit dem Autogenen Training ist es möglich, das Vegetative Nervensystem, das „autonome“, selbständige Nervensystem, anzusprechen. Dieses arbeitet normalerweise unabhängig von unserem Bewusstsein und unserem Willen und reguliert unter anderem die Tätigkeit sämtlicher Organe, ist aber andererseits für viele negative körperliche Reaktionen auf Stress verantwortlich.
In der Grundstufe erlernt man in einfachen Übungen sein vegetatives Nervensystem willentlich positiv zu beeinflussen und so u. a. ganz bewusst psycho-vegetative Funktionen selbst zu regulieren. Für die Anwendung der Mittelstufe muss die Grundstufe beherrscht werden. Die Mittelstufe dient dazu, sich mit seelischen und sozialen Faktoren, die zu Verspannungen führen, auseinanderzusetzen. Sogenannte Vorsatzformeln, also Leitsätze, die auf den Übenden abgestimmt sind, werden hier genutzt, damit der Übende sich selbst hypnotische Aufträge erteilen kann und diese vom Unbewussten direkt umgesetzt werden. Hierbei kann es sich um Themenbereiche wie den Körper (Leistungsfähigkeit, Krankheit) oder die Psyche (Verhaltensveränderungen oder das Erreichen von Lebenszielen) drehen und die kurz und prägnant formulierten Formeln werden vom Übenden im Anhang an die Übung der Grundstufe (als Vorentspannung) genutzt.
In der Oberstufe des Autogenen Trainings geht es um Tiefenentspannung, Selbsterkenntnis und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Es findet eine Art Innenschau, Selbsterfahrung, Selbstfindung und Einsicht statt.

Welche positive Wirkung merkst Du bei Dir ganz konkret?
Auch in der Krise behalte ich meine Gelassenheit und kann die Dinge so akzeptieren wie sie im Moment gerade sind. Seit ich Autogenes Training betreibe konnte ich meine Asthma-Medikamente in Abstimmung mit meinem Pneumologen um mehr als die Hälfte reduzieren, ein Akut-Medikament habe ich zwar noch, aber seit ganz langer Zeit nicht mehr nutzen müssen. Sollte ich mal nicht einschlafen können, wirkt Autogenes Training Wunder.

Wenn ich mit autogenem Training beginnen möchte, gerade in der aktuellen Zeit: Kann ich das online lernen, oder empfiehlst Du auf jeden Fall einen Präsenzkurs?
Im Idealfall würde ich einen Präsenzkurz zum Erlernen empfehlen. In der heutigen Zeit des „Social Distancing“, kann aber sicher ein erstes Erlernen der Grundstufe online erfolgen, um es später in Präsenz noch einmal zu wiederholen und die eigene Technik zu überprüfen. Bei einem Online-Kurs wäre anzuraten, einen Kurs zu suchen, der eine Interaktion mit dem Kursleiter zulässt. Dieser gibt weitere Erklärungen zu den Übungen und beantwortet am Ende jeder Lektion Fragen oder gibt weitere Tipps/teilt seine Erfahrungen. Zum Erlernen der Mittel- und Oberstufe wäre ein Präsenzkurs bestimmt die bessere Wahl, da hier auch u. U. starke Emotionen auftreten können, die durch einen erfahrenen Kursleiter stabilisiert werden sollten.

Was muss ich als Anfänger beachten?
Üben, üben, üben und das regelmäßig. Die Methode „Autogenes Training“ beinhaltet „Training“. Wie beim Sport gilt: Ohne Fleiß kein Preis. Nicht zu viel auf einmal wollen und geduldig sein: Langsam die aufeinander aufbauenden Übungen erlernen ist besser, als in 2 Wochen bei der Oberstufe angelangt sein zu wollen. Man kann davon ausgehen, dass es mindestens 6 Monate dauert, bis man mit dem Training der Oberstufe anfangen kann (ein Marathon wird ja auch nicht nach 2 Wochen Training gelaufen)

Gibt es eventuelle Risiken?
Für gesunde Menschen ist Autogenes Training gefahrlos. Für Personen mit schweren Angststörungen, Wahnvorstellungen, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen ist Autogenes Training (wie bei Hypnose auch) kontraindiziert.

Inwiefern kann uns autogenes Training helfen, die aktuelle Krise mit all ihren Einschränkungen und latenter Bedrohung zu verarbeiten und Kraft zu tanken?
Autogenes Training kann uns helfen, besser mit dem durch die aktuelle Krise hervorgerufenen Stress umzugehen, in dem wir bewusst unser vegetatives Nervensystem autoregulieren und somit physischen Belastungen durch Stress entgegensteuern können. Autogenes Training kann auch vor dem Einschlafen gemacht werden und ist ein hervorragendes Mittel, um sanft in den Schlaf zu gleiten oder negative Gedankenspiralen zu durchbrechen. Schaut man sich das Autogene Training mit all seinen Facetten an, stellt man fest, dass es sich positiv auf fast alle Säulen der Resilienz auswirken kann und wer schon einmal eine Fantasiereise an einen sonnigen Sandstrand gemacht hat, wie das z. B, in der Mittelstufe des Autogenen Trainings möglich ist, weiß in welcher Weise hieraus Kraft getankt werden kann.   

Wie lange dauert es, bis sich fühlbare Erfolge einstellen?
Nach etwa 4-6 Wochen stellen sich erste Erfolge ein. Es ist jedoch sehr davon abhängig, wie oft geübt wird.

Wieviel Zeit sollte ich täglich dafür investieren?
Anfänglich sind 5-10 Minuten am Tag, die sich nach und nach auf maximal 30 Minuten steigern, sehr gut investierte Zeit.

Wenn Du mir autogenes Training „verkaufen“ willst, was sind Deine 3 Top-Argumente?
Wieso eigentlich nur 3 Argumente?:)
Es ist so einfach zu erlernen, dass selbst Kaffeewasser anbrennen lassen schwer dagegen ist.
Autogenes Training kann man immer und überall ohne Hilfsmittel praktizieren – im Stehen in der U-Bahn, im Sitzen im Kutschersitz auf dem Bürostuhl im Homeoffice oder auf der Couch oder im Liegen.
Die Anwendung von Autogenem Training ist so vielseitig und „dosierbar“ – nur zum Entspannen/Gelassenheit erwerben, sich mit Leitsätzen weiterentwickeln oder als Mittel zur Selbstfindung/Selbsterfahrung.
Mit entsprechender Übung ist es möglich mit Autogenem Training von Stress auf Entspannung umzuschalten, in Sekunden.

Ok das waren jetzt vier… soll ich weitermachen?

Was möchtest Du unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Einen Spruch aus den „Carnets“ von Antoine de Saint-Exupéry:
„Es ist die Welt von heute, der eine Welt von morgen folgen wird.“

Auch wenn es gerade alles andere als einfach ist, versucht die momentane Situation zu akzeptieren, bleibt Euren Werten treu. Tut Euch und Anderen Gutes, werdet zum Sinnfinder, bleibt optimistisch und kreativ auf Eurem Weg in Eure Welt von morgen. 

Bernd Dorst studierte BWL in Saarbrücken und Lyon. Nach 20 Jahren in Frankreich lebt er seit 2018 in Saarbrücken und arbeitet in einer psychologischen Gemeinschaftspraxis im Süden Luxemburgs. Er ist ausgebildeter Personal und Business Coach, Mediator (univ.-gepr.), geprüfter Heilpraktiker für Psychotherapie, Burnoutberater und Trainer für Autogenes Training nach Schultz und Progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Neben Themen, wie z.B. Stressmanagement, Burn- und Boreout, Entspannungstechniken und anderen, spezialisierte er sich auf die Bereiche Coming-out, Mobbing und Trauerbegleitung.

Zu Bernd’s Homepage geht es hier.

Foto: Spencer Selover/ pexels.com