Macht mir das noch Freude oder soll das weg?

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Vom Glück und Schmerz des Entrümpelns, Loslassens und Aufbrechens

Es ist mal wieder die Zeit zwischen den Jahren. Eine Zeit, die irgendwie aus der gewohnten Zeitrechnung fällt, die vorab immer richtig lang erscheint und dann doch ruckzuck wieder vorbei ist. Es ist eine besondere Zeit, in der wir uns viel oder fast gar nichts vornehmen. Für viele Menschen ist es eine Zeit der Inventur, der Innenschau und der Retrospektive auf das vergangene Jahr. Kaum eine Zeit eignet sich so gut dazu inne zu halten und die Gelegenheit zum Aufräumen und Ausmisten zu nutzen, zum Loslassen und bewussten Behalten, zum Bleiben oder Gehen.
Das fängt oft beim Kleiderschrank an, geht weiter über das Ausmisten der Wohnung und nähert sich dann häufig den intensiveren Themen wie dem Halten oder Abbrechen sozialer Kontakte, dem Streichen beruflicher Projekte, die uns vielleicht viel bedeuten, ehrlich gesagt aber Totläufer sind bis hin zum Inspizieren unserer inneren Muster, Prägungen und Werte.
Fragen nach Sinnhaftigkeit, nach Identität und Selbstwerdung können auftauchen. Es ist eine Abenteuerreise: Weg aus dem gewohnten Hafen, hin zu etwas Neuem, das wir noch nicht von Anfang an sehen können, dass sich aber sicher hinter dem Horizont verbirgt.

Macht es mir noch Freude?

Diese scheinbar einfache Frage ist oft unglaublich schwer zu beantworten. Unser Bauchgefühl reagiert in der Regel sofort mit einem untrüglichen JA oder NEIN. Aber sind wir bereit, wirklich darauf zu hören? Die Freude verfügt über strahlende Kraft, aber ihr gegenüber steht eine oft ebenso starke Dame, und Ihr Name ist Nostalgie. Die Nostalgie sieht häufig gemütlich und nett aus wie eine liebevolle Oma, die uns bei der Hand nimmt. Aber oft hat sie klebrige Finger, mit denen Sie uns festhält und am Weitergehen hindert.
Will ich das Hemd, das seit 20 Jahren meinem Schrank verrottet, wirklich weggeben? Immerhin hatte ich darin als Studentin von unzähligen Jahren mal einen super Abend…
Will ich die einst geliebte Person, die mich in der letzten Zeit nur noch respektlos behandelt hat, die ich vielleicht seit Ewigkeiten nicht gesehen habe, die immer wieder Posts absetzt, die mit meinen Werten in Widerspruch stehen, wirklich aus meinem Telefonbuch löschen?
Immerhin waren wir doch mal unzertrennlich…
Will ich an meinem Job wirklich festhalten, der mich zwar nur noch langweilt, der für mich damals aber einen großen Sprung auf der Karriereleiter bedeutete? Etc., etc….

Was kommt dann?

Unsere Vergangenheit gehört zu uns, unsere Erfahrungen und das, was wir aus Ihnen lernen, machen uns zu der Person, die wir heute sind. Unsere Vergangenheit ist Teil unserer Identität. Und es ist oft sehr schmerzhaft, Dinge, Menschen und Träume loszulassen, die uns früher Freude machten, aber heute leider nicht mehr.
Es tut weh uns einzugestehen, dass wir uns entfernt haben, älter geworden sind. Dass uns Menschen, die uns viel bedeutet haben, nicht mehr wertschätzen. Dass wir Projekten, die uns früher begeisterten, heute entwachsen sind. Es kann uns erschüttern zu begreifen, dass auch unsere Träume und Vorstellungen von der Welt an Strahlkraft eingebüßt haben und einer Neuausrichtung bedürfen. Es tut weh zu begreifen, dass Liebe und Freude verloren gegangen sind und wir aufbrechen sollten – denn was kommt dann?

Festklammern oder freimachen?

Viele Influencer-Coachs postulieren das Loslassen wie ein Mantra und inszenieren sich und dieses Thema mit einer Leichtigkeit, die uns allein beim Lesen dieser weichgespülten Beiträge schon überfordern kann.
Denn Loslassen ist verdammt schwer und oft müssen wir uns durch schwere und zähe Gedanken und Gefühle durchkämpfen, bevor wir über die nötige Kraft verfügen, wirklich loslassen zu wollen und zu können. Es ist doch mehr als verständlich, dass wir an früher liebgewonnenen Menschen, Dingen und Tätigkeiten hängen. Wer will schon früher erlebte Freude aufgeben?

ABER: Die Frage ist nicht, ob uns früher etwas Freude gemacht hat, sondern ob wir diese Freude auch JETZT noch spüren. Und hier kommt wieder uns liebes Bauchgefühl ins Spiel, das uns in unbarmherziger Klarheit zeigt, welche Menschen jetzt gut für uns sind, welche Aktivitäten uns nun in den Flow bringen und in welchen Klamotten wir uns heute wirklich wohl fühlen.
Wenn wir uns an alter Freude festklammern, geben wir der Vergangenheit und den daran beteiligten Menschen und Vorstellungen die Macht, uns neuer Freude zu berauben. Wir verlieren uns in einer Vorstellung über Andere aber auch über uns selbst, die vielleicht früher Gültigkeit besaß, heute aber genauso wenig passt, wie das alte Hemd in meinem Schrank.

Sei kein Nostalgie-Messi!

Keiner kann und soll uns zwingen loszulassen. Manchmal gelingt es uns leichter als gedacht, manchmal tragen wir uns lange Zeit mit dem Gedanken, dass ein Loslassen sinnvoll sein könnte, bevor wir uns dann endlich dazu überwinden. Wie immer ist auch hier unser eigener Rhythmus entscheidend. Unsere Intuition wird den richtigen Zeitpunkt erkennen.
Aber eins ist klar: Wenn wir unsere innere und äußere Welt mit alten, heute freudlos gewordenen Menschen, Dingen, Gedanken und Gefühlen zumüllen, bleibt kein freier Raum, um uns neu auszurichten. Wir werden zum Nostalgie-Messi. Unser Leben ist gefüllt aber nicht mehr erfüllt. Wir funktionieren nach außen, unser Telefonbuch ist voll, wir verdienen unser Geld – aber die Freude fehlt. Vermutlich leiden wir still vor uns hin und wünschen uns, dass es wieder wird wie früher. Und dieser Wunsch geht nicht in Erfüllung.

Der Zauber des Neuanfangs

Gönn Dir Zeit, in Ruhe ohne Erwartungsdruck Deine potenziellen Ausmist-Bereiche durchzugehen. Wo spürst Du Schwere statt Leichtigkeit? Was nervt Dich statt Dir positive Energie zu geben? Wer zieht Dich runter statt Dein Herz höher schlagen zu lassen? Welche Aktivität ist lästig statt erfüllend geworden? Welche Werte und Prinzipien möchtest Du neu formulieren? Welche Träume dürfen anderen weichen?
Es ist ein intensiver, wertvoller Prozess, uns diesen Fragen zu stellen und die Antworten ehrlich auszuhalten. Es tut bisweilen weh und gleichzeitig wird der Zauber des Neuanfangs schon spürbar. Denn alles, was wir gehen lassen, hinterlässt freien Raum, den wir aufmerksam neu füllen dürfen. Weniger Nostalgie, mehr Platz für neue Freude.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

Das schreibt Hermann Hesse in seinem wunderschönen Gedicht „Stufen“.
Lass Dir diesen Zauber nicht durch das Festhalten an dem, was ausgedient hat, nehmen.
Genieße den Zauber des Neuanfangs, die gespannte Aufregung, die energetisierende Neugier auf das, was kommt und all die Freude, mit der Du den offenen Raum füllen kannst.
Es wartet eine Menge da draußen, wenn wir dem Leben die Tür öffnen und unsere Energie auf das richten, was uns wirklich Freude macht.

Ich wünsche uns allen ein zauberhaftes Jahr 2024!

Foto: www.pexels.com

Durch innere Heilung positive Erfahrungen ins Leben bringen

Selbstliebe stärken

Sind wir nicht alle ein bisschen Lars?

Lars fühlt sich elend. Und er versteht die Welt nicht mehr.
Diese Welt, die ihm ständig kurzzeitige Beziehungen schickt, die nach ein paar Monaten wieder in die Brüche gehen, weil seine Herzensdamen die Reißleine ziehen. Manche werfen ihm vor zu distanziert zu sein, andere haben ihn als Klammeraffen abgestempelt – wie Lars es auch macht, es scheint immer verkehrt zu sein. Und dabei will er es doch besonders gut machen. „Ich bin offenbar ein totaler Beziehungsversager“, meint er traurig-resigniert und lässt die schweren Schultern hängen. Die letzte Dame, der er sein Herz geschenkt hat, war verheiratet und hat letztlich ihrer Ehe den Vorrang gegeben. „Eigentlich war mir schon klar, dass das zum Scheitern verurteilt war, aber offensichtlich wohnt ihn mir nicht nur ein Blödmann sondern auch ein Masochist.“
Lars ist verdammt müde, aber mit sich selbst schimpfen kann er voller Energie und Überzeugung.
Und er möchte sich endlich selbst verstehen. Möchte an die Quelle seines ambivalenten Beziehungsverhaltens kommen und zur Abwechslung auch mal glücklich sein. Sich gut aufgehoben fühlen, geliebt werden, ankommen. „Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“

Nein, das ist es ganz und gar nicht.

Wir alle haben unsere eigene Geschichte, die unseren Umgang mit Beziehungen geprägt hat.
Lars ist von seiner Mutter allein großgezogen worden. Der Vater hat die beiden verlassen, als Lars 3 Jahre alt war. An ihn hat Lars nur dunkle Erinnerungen, aber er weiß noch, wie der Vater aus dem Haus ging und ihn im Flur zurückließ wie ein ausrangiertes Paar Schuhe. Aber er erinnert sich noch sehr genau, wie verzweifelt seine Mutter war und wie sie ihm einmal unter Tränen sagte, dass der Vater was Besseres gefunden habe und sie ihm nicht mehr genügten.  Dass sie einfach ersetzt und weggeworfen wurden.
Da begann der kleine Lars, sich Fragen zu stellen. War er nicht gut genug, so dass der Vater gehen wollte? War etwas mit ihm falsch? Was war denn besser woanders? Und der kleine Lars fand Antworten, die ihm als Kind absolut stimmig erschienen: Irgendetwas musste an ihm nicht wertvoll genug, nicht gut genug gewesen sein, so dass es dem Vater leichtfiel, seinen Sohn und die Mutter zu verlassen. Was genau das sein könnte, konnte Lars nicht identifizieren. Aber offenbar gab es Menschen, die diesen Makel nicht hatten, die es schafften, seinen Vater zu halten. Und damit trat Lars in einen Teufelskreis ein, der ihn bis heute immer wieder in seinen Bann zieht. In den Kreis der inneren Zweifel, Entwertung und Selbstdemontage, die sich im Außen laufend durch weitere Negativerfahrungen manifestiert.

Der Teufelskreis der Selbstdemontage

Wenn wir insbesondere in früheren Jahren unseres Lebens eine tiefe Verletzung erfahren und das schmerzhafte Gefühl erleben, nicht geliebt, nicht gewollt und scheinbar wertlos zu sein, ist das eine Wunde, die wir in der Regel nicht selbst heilen können. Und die sich auch nicht von selbst wieder schließt – egal wie viele Verdrängungsmechanismen und Ablenkungsmanöver wir dafür anwenden.
Und wenn wir dieser Wunde keinen Raum geben, geheilt zu werden, wird diese Ablehnungserfahrung oft zum Teil unserer Identität, zu einer negativen Annahme über uns Selbst, die wir uns täglich immer wieder aufs Neue durch unsere Gedanken und die daraus resultierenden Gefühle erzählen und konservieren. Gerade in jungen Jahren verfügen wir nicht über die intellektuellen Fähigkeiten, Ablehnungserfahrungen kritisch zu hinterfragen und differenziert zu betrachten. Als junger Mensch fühlen wir uns selbst dafür verantwortlich, denken, dass wir schuld sind und etwas an uns nicht gut genug war, um diese Erfahrung zu vermeiden. Dass wir es nicht wert waren, dass ein Mensch bei uns bleibt.
Dann sehen wir uns als die Person, die weder gewollt noch geliebt ist. Wir haben uns einen durch die Vergangenheit scheinbar begründeten und in der Gegenwart immer wieder reaktivierten Filter vor unsere Wahrnehmung gelegt. Und dieser Filter macht unsere Welt dunkel und eindimensional. Er drängt uns in eine Sackgasse, in welcher wir dauerhaft parken.

Der Dauerparkschein in der Sackgasse

Die Tragik liegt oft darin, dass wir durch diese verzerrte, sich verselbstständigte Wahrnehmung permanent nach weiteren Negativerfahrungen suchen, um unser gewohntes entwertetes Bild von uns zu bestätigen. Wir reproduzieren Ablehnungserlebnisse, um unsere Identität des nicht gewollten ungeliebten Menschen zu bestätigen, anstatt uns zu erlauben, uns vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Wir suchen den gewohnten Schmerz, unsere negative Komfortzone. Wir reiben uns eventuell an Beziehungen auf, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, suchen uns Menschen, die für uns nicht verfügbar sind und kämpfen den aussichtslosen Kampf um eine Liebe, die dieser Mensch uns nicht geben kann. Wir suchen in neuen Situationen die Bestätigung alten Schmerzes, statt diese Situationen als Chance zu nutzen, endlich den alten Schmerz zu heilen und unsere Einstellung sowie unser Verhalten zu verändern. Und am Ende finden wir uns wieder auf dem harten Boden der Desillusion, sind allein und haben uns eine weitere Enttäuschung auf unsere geplagten Schultern gepackt, die doch sowieso schon so viel zu tragen haben.
Aber es ist eine gewohnte Last, unser destruktiver Normalzustand. Und wir glauben, nichts Besseres zu verdienen, weil wir es nicht anders kennen – und unbewusst alles dafür tun, dass keine gegenteiligen positiven Erfahrungen in unser Leben treten können. Denn das hieße, dass wir unsere Identität der ungeliebten Person abgeben und uns neuen Sichtweisen öffnen müssten – und dagegen schiebt die Fülle unsere bisher gemachten negativen Erfahrungen einen wirksamen „vernünftig“ evaluierenden Riegel vor. Die bisherige Negativbilanz spricht für sich.

„Wir sind halt, wie wir sind – und echte Liebe erfahren eben nur die Anderen, oder?“

Es ist ein Teufelskreis. Und wir brauchen Unterstützung, um ihn zu bemerken, aufzudröseln und uns die Erlaubnis zu geben, auszusteigen. Es mag paradox klingen, dass es schwer sein soll, aus einem leidvollen Zustand auszusteigen, wenn man doch weiß, dass er einem gar nicht gut tut.
Aber die dunkle Macht lang verinnerlichter dysfunktionaler Muster, wirkt auf vielen Ebenen. Sie leitet unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Verhalten. Wenn wir diese Muster lange genug gefüttert haben, sind sie äußerst widerstandskräftig. Sie haben es sich bequem gemacht in einem Raum, den wir ihnen lange Jahre in unserem Inneren eingerichtet haben. Sie mögen keine neuen Mitbewohner und klammern sich sehr beharrlich in uns fest.
Aber wir dürfen diesen Mietvertrag kündigen. Wir dürfen neue konstruktive Muster bei uns einziehen lassen, die uns liebevoller und zuversichtlicher auf uns selbst schauen lassen und unser Selbstbild positiv verändern, so dass wir uns für positive neue Erfahrungen öffnen können. Aber dafür müssen wir ihnen die Tür aufmachen – und das gelingt am besten mit einem fachkundigen Dritten, der uns kompetent und empathisch auf dieser Reise begleitet.
Wenn wir uns einen neuen Raum geben, in welchem wir uns erlauben, gewollt und geliebt zu sein, werden wir automatisch unsere Gedanken und Gefühle verändern und mit Menschen anders interagieren. Wir bereiten den Boden für neue, positive Erfahrungen. Wir sähen eine neue Ernte, welche nicht wie zuvor zum Vertrocknen verdammt ist, weil wir sie nicht gießen konnten. Aber es braucht Zeit, diese neue Ernte aufgehen zu lassen. Wir brauchen Zeit, um unsere alten destruktiven Muster loszulassen, uns immer wieder zu erlauben, wertschätzend und zuversichtlich auf uns selbst zu schauen und Schönes zu verdienen. Uns diese Zeit und Geduld zu geben, ist gelebte Selbstliebe.

Niemand ist stets vor Verletzung sicher, aber mit einem starken Selbstwertgefühl und der daraus resultierenden Zuversicht verringern wir das Schmerzrisiko massiv. Wir und auch Lars dürfen mit allem rechnen. Auch mit dem Guten!

Foto: www.pexels.com