Aber WER bin ich eigentlich, wenn ich WAS denke?
Jana ist am Boden zerstört, und das kann auch jeder sehen. Zusammengesackt sitzt sie auf dem Wohnzimmerboden ihrer besten Freundin Sandra und weint. Mal wieder ist sie verlassen worden. Verlassen von einem Mann, mit dem alles so gut anfing, mit dem sich die letzten 4 Monate endlich so angefühlt haben, wie sie es sich immer in einer Beziehung gewünscht hat. Liebevoll, aufmerksam, auf Augenhöhe und sicher.
Nun ist auch diese Blase wieder geplatzt und am Ende bleiben hässliche Flecken auf der Seele, die sich nur schwer wieder abwaschen lassen.
Jana hat ihr Herz geöffnet und mutig verschenkt, der Andere hat es vor Ablauf der Widerrufsfrist kommentarlos zurückgeschickt. Keine Erklärung, keine Zeit, keinerlei Wertschätzung oder Empathie. So wie das die „Ghosts“ von heute machen. Diese menschlichen Geister, die rücksichtslos Seelenqualen verursachen und nur eins kennen und können: Flucht, Vermeidung, radikale Abwehr, unbarmherzige passive Aggression. Das Schlachtfeld, das sie hinterlassen, sollen die Betroffenen selbst aufräumen – damit wollen sie mangels sinnvoller Copingfähigkeiten nichts mehr zu tun haben. Dass ein solches assoziales Verhalten ein Zeichen empathiegestörter emotionaler Defizite ist, ist weitläufig bekannt. Letztlich werden sie selbst an ihrem destruktiven Verhalten zerbrechen. Viel wichtiger ist, wie es Jana geht.
„Du musst nach vorne schauen und denken!“
sagt Sandra aufmunternd und reicht ihr das 3. Glas Rotwein und die fast leere Packung XXL-Taschentücher.
Und Jana denkt. Sie denkt seit ein paar Tagen so viel, dass ihr fast der Kopf platzt. Tag und Nacht. Sie denkt immer wieder dasselbe, entwirft fortwährend dieselbe selbstzerstörerische Geschichte, stellt sich ständig dieselben verurteilenden Fragen.
Was macht sie nur immer wieder falsch? Was stimmt an ihr nicht, dass keiner bei ihr bleiben möchte? Ist sie nicht hübsch, schlank oder klug genug? Zu kompliziert, zu langweilig, so liebenswert wie der alte Wintermantel, den sie nach 3 Jahren im Keller endlich ausrangiert hat?
Und aus diesem Fragen formt ihr denkendes Gehirn eine Geschichte:
„Ich heiße Jana und ich werde es niemals schaffen, einen Mann länger als ein paar Monate von mir zu überzeugen. Ich bin offenbar nicht liebenswert genug, um ein Herz dauerhaft zu halten, deshalb werde ich mein ganzes Leben lang alleine bleiben. Meinen Wunsch auf Familie kann ich vermutlich begraben, denn es hat offensichtlich keinen Sinn, weiter in diese Richtung zu träumen. Ich bin nicht schön genug, und das wird sich mit zunehmendem Alter immer weiter verschlimmern. Niemand wird mich anschauen und wenn – dann nur mit Abscheu. Es ist alles vollkommen hoffnungslos und macht absolut keinen Sinn mehr. Ich muss mich damit abfinden, allein zu bleiben.“
Cogito ergo sum.
René Descartes hat als Urheber dieses Satzes den Zweifel über seine Existenz ausgeräumt.
Jana denkt, also ist sie.
Ihren Gedanken nach ist sie ein bedauernswertes, einsames Wesen ohne Anspruch auf Liebe und Wertschätzung – und das ein Leben lang.
Ihre Gedanken entscheiden darüber, als wen sie sich wahrnimmt, wer sie also ihrer Meinung nach tatsächlich ist. Und diese Gedanken zerstören ihre Seele und ihre Fähigkeit, ihre Zukunft aktiv und zuversichtlich zu gestalten.
Von außen können wir natürlich leicht erkennen, dass es eine sehr einseitige und situativ emotional gefärbte Sicht der Dinge zu sein scheint. Das Verhalten des Vollidioten, der sie feige verlassen hat, scheint in ihrer Geschichte (noch) keine Berücksichtigung zu finden. Liebeskummer tut einfach verdammt weh und macht uns genauso wie die Liebe vorübergehend blind. Der Gedanke, dass sie etwas Besseres verdient, scheint noch nicht von ihr gedacht werden zu wollen. Ihre pessimistische Selbst- und Zukunftssicht ist das Ergebnis ihres einseitig negativ denkenden Geistes.
Wollen wir wirklich sein, was wir denken? Bestimmen unsere Gedanken wirklich, wer wir sind?
Oder anders gefragt: Möchten wir unseren negativen Gedanken dauerhaft die Macht über uns geben und sie in uns einsickern lassen wie ein dickflüssiges Gift – oder wollen wir stattdessen positive Gedanken als wirksame Gegenspieler aufs mentale Spielfeld schicken?
Wie können wir ein mentales Team zusammenstellen, das nicht gleich in der Vorrunde rausfliegt?
Es gibt unzählige Bücher, Videos, Tutorials, Coaches und Gurus, die uns erklären möchten, wie wir unseren Gedanken Einhalt gebieten: Unseren Geist dauerhaft zu unserem Diener statt zu unserem Meister zu machen.
Davon ist Jana gerade heillos überfordert. Sie möchte nur, dass dieses Gefühl der Trauer, dass sie wie eine graue Krake in ihr schwarzes Loch zieht, aufhört. Die Spieler mit der Rückennummer Null dauerhaft auf die Bank setzen oder am besten für immer in die Kabine verbannen.
Von Diener- und Meisterschaft möchte sie noch nichts hören – auch deshalb weil ihre dysfunktionalen Gedanken sie sowieso gerade beherrschen wie der Strippenzieher seine Marionette.
Aber es gibt einen Impuls, den sie annehmen kann:
„Nur, weil ich einen Gedanken habe, heißt es nicht, dass er auch wahr ist.“
Unsere Gedanken sind niemals die Realität, auch wenn wir das manchmal schwer eingestehen können. Sie sind nur unsere momentane Interpretation der Wirklichkeit, gefärbt durch unsere aktuelle Stimmung, unsere Erfahrungen, unsere Wünsche, erlebten Schmerzen, Hoffnungen etc.
Häufig sehen wir nur die Spitze des Eisbergs, verfügen nur über wenige Puzzleteile statt über das Big Picture, haben einen schlechten oder guten Tag – und schon färben sich unsere Gedanken entsprechend ein. Nichts davon hat Anspruch auf absolute Gültigkeit. Alles verändert sich ständig in uns und somit auch im Außen.
Monsieur Descartes wäre nun vermutlich bereit, sich mit uns darüber mutig und konstruktiv zu streiten. Aber für Jana ist es wichtig zu erkennen, dass ihr denkender Geist und die daraus entstehende Geschichte über ihr Selbst nichts anderes ist als das Abbild ihres aktuellen Zustands. Sie sieht die Welt, wie sie sich ihr in diesem Moment darstellt, wie sie von ihren Gedanken illustriert wird. Und das ist vollkommen in Ordnung. Aber es ist nicht die alleingültige Realität. Diese Trennung zwischen momentaner individueller Wahrnehmung und Realität hilft uns allen, unseren Gedanken Einhalt zu bieten und Abstand zu gewinnen. In unserem mentalen Team den Trainerposten zu behalten.
Wir denken.
Wir sind.
Aber wir sind nicht unsere Gedanken.
Aktuell kassiert Janas mentales Team ein Tor nach dem anderen, manche Spieler liegen verletzt auf dem Spielfeld oder pöbeln unkontrolliert rum. Aber Jana verfügt auch über ein breites Repertoire an weiteren Spielern, die sie spätestens in der 2. Halbzeit aufs Spielfeld schicken kann, wenn sie sich ihrer Trainerinnenrolle wieder gewachsen fühlt. Die Spieler, die sich gegenseitig unterstützen, zaubern und Tore schießen. Die stärkenden Gedanken, die ihr Auftrieb geben, nach vorne schauen wollen und die Einsicht reifen lassen, dass Menschen, die sich assozial verhalten, lediglich eine ehrliche bedauernswerte Selbstaussage vermitteln aber keinerlei Statement über den Wert der anderen Person. Und dass derartige Menschen keinen Platz in ihrem Leben verdienen, auch wenn es weh tut. Weil sie eben nicht das bedauernswerte Wesen aus der obigen Geschichte ist sondern ein Recht auf Liebe und Wertschätzung hat wie jeder andere Mensch auch und für dieses Recht einstehen darf. Und sie darf sich Co-Trainer an Bord holen, die sie bei der Mannschaftsbildung unterstützen.
Darüber darf Jana nun gern bewusst nachdenken und ihre Geschichte nach und nach von grau zu farbig umschreiben. Dann hat sie einen großen Schritt in Richtung „den Geist zum konstruktiven Diener machen“ geschafft.
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