Die dunkle Seite der Selbstdarstellung
Immer strahlendes Lächeln, phantastische Orte, dynamische sportliche Aktivitäten, perfekt fotografiertes Essen, gemütliche Auszeiten mit grünem Tee und veganem Avocadokuchen, erfolgreiche aussehende hippe Freunde und Spaß ohne Ende. Wenn man die Bilder auf Anjas Profil in den sozialen Netzwerken betrachtet, möchte man neidisch auf dieses perfekte Leben werden, wo offenbar alles spielend gelingt. Da fällt das Dauerlächeln leicht, oder?
Das Problem ist nur, dass Anja häufig gar nicht zum Lachen zumute ist, denn eigentlich ist sie oft einsam, hat Angst, dass Ihr Leben nicht in die richtige Richtung läuft und hätte gern einen Partner, mit dem Sie Ihr Leben teilen kann. Sie ist eben ein Mensch wie wir alle mit Höhen und Tiefen – nur die Tiefen sollen in der Außendarstellung nicht sichtbar werden. Hier soll alles glänzen, keine „Schwäche“ gezeigt werden. Denn für Matt statt Hochglanz kriegt man keine „Likes“ – und Likes bedeuten Liebe und Bestätigung in der virtuellen Welt, wo wir uns das ideale Bild von uns selbst einfach erschaffen und die Realität ausblenden können.
Das kann Anja perfekt. Ihre Selbstdarstellung ist erfolgreich, zumindest den Maßstäben der Network-Scheinrealität entsprechend.
Wenn man Anja fragt, was sie sich am meisten wünscht, antwortet sie: „Ich wünsche mir endlich einen Partner, der mich so liebt wie ich bin, bei dem ich mich fallen lassen und auch mal einen schlechten Tag haben kann.“ Aber genau dieses „geliebt werden, wie sie ist“, lässt sie nicht zu, indem sie permanent ein gefälschtes Bild von sich zeichnet, ständig befeuert und nach außen vermittelt.
Dauergrinsende Roboter sind nicht echt
Es kostet viel Mut, uns authentisch zu zeigen und dadurch verletzbar zu machen. Umso schwerer fällt es in den Zeiten ständiger Selbstoptimierung, Selbstdarstellung und unseligen Vergleichen mit anderen (vermutlich genauso künstlich aufgehübschten) Profilen. Wir setzen uns unter Druck, immer perfekt funktionieren und aussehen zu müssen und dauergrinsenden Robotern gleich alles mit Leichtigkeit zu schaffen. Diesen Eindruck von Leichtigkeit und Kraft können wir nochmal besonders fördern, indem wir hin und wieder ein Foto von uns beim Meditieren posten – auch diesen Trend darf man ja nicht verpassen.
Wie können wir erwarten, dass uns Menschen wirklich kennen, lieben und akzeptieren, wenn wir es selbst nicht tun in der Angst, uns echt zu zeigen? In der Welt sozialer Netzwerke soll alles „real“ sein und ist häufig zum Abgewöhnen verlogen.
Warum geben wir anderen Menschen häufig nicht die Chance, sich von unserem wahren Ich begeistern zu lassen? Glauben wir, dieses wäre nicht spannend, schön oder erfolgreich genug?
Authentisch sein kostet Mut
Es ist oft schmerzhaft, sich einzugestehen, dass es im Leben manchmal nicht so läuft, wie wir es uns wünschen, umso mehr, wenn wir den Eindruck haben, dass es bei allen anderen Menschen ständig voran geht. Es tut weh, durch dunkle Zeiten zu gehen, uns allein zu fühlen oder nicht alles im Griff zu haben. Wieviel wir davon zeigen, steht uns selbstverständlich frei.
Definitiv kontraproduktiv ist aber, uns selbst zu verleugnen, indem wir anderen vorspielen, alles wäre toll.
Automatisch antworten wir meistens auf die Frage „wie geht’s?“ mit „gut!!“ – auch wenn uns vielleicht eigentlich zum Heulen zumute ist. Wir posten strahlende Smileys und dankbar gefaltete Hände, obwohl wir uns vielleicht hundeelend fühlen. Alles muss irgendwie „mega“ sein, und wir machen mit, weil wir nicht aus diesem geschönten Raster fallen wollen. Hiermit verspielen wir aber jede Chance auf echte Anteilnahme, Hilfe und Bindung.
Anja wirkt nachdenklich bei diesem Impuls.
„Das klingt total logisch, merkwürdig, dass mir das gar nicht aufgefallen ist. Dieses positive Getue ist bei mir schon eine Art Automodus geworden, darüber denke ich gar nicht mehr nach. Helfen tut es mir letztlich aber nicht, im Gegenteil, ich finde dieses Vorgaukeln, dass alles toll ist, häufig unglaublich anstrengend.“
Pause machen
Menschen sind soziale Wesen, wir möchten uns zugehörig fühlen, in Gemeinschaft mit Anderen sein. Soziale Netzwerke sind meist eine Glitzerwelt aus gesteuerter, oft gefälschter Selbstdarstellung. Sie folgen Ihrer eigenen Dynamik und ihren eigenen Maßstäben. Wir möchten mitschwimmen in diesem Fluss schöner Bilder und unseren eigenen Beitrag dazu leisten. Uns selbst suggerieren, dass wir das Leben, das wir auf sozialen Netzwerken in Szene setzen, toll und spannend ist. Vielleicht entwickeln wir sogar eine Art Sucht nach positiver Resonanz in Form roter Herzchen von Menschen, die wir überhaupt nicht kennen. Wir möchten dabei sein, das entspricht unserem Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. Dafür sind wir oft bereit, den hohen Preis der Selbstverleugnung zu zahlen und merken gar nicht, wie sehr wir uns letztlich damit von uns selbst und anderen isolieren.
Natürlich entscheiden wir alle selbst darüber, was wir wo und wie von uns preisgeben, aber letztlich sehnen sich die meisten Menschen nach Geborgenheit und Authentizität. Soziale Netzwerke können diese Geborgenheit in der Regel nicht bieten, sie nennen sich sozial und bleiben häufig doch anonym. Sie arbeiten oft mit einer Masse von Menschen, aber nicht mit echter Verbindung.
Anja möchte eine Pause von der inszenierten Selbstdarstellung einlegen. „Ich glaube, das tut mir mal gut und lässt mich zur Ruhe kommen. Schließlich gibt es auch eine echte Welt da draußen. Die ist vielleicht nicht immer schön, aber wenigstens ohne Filter“.
Vielleicht sollten wir uns diese Pause alle hin und wieder gönnen und Anderen die Freude machen, uns wirklich live und in Farbe kennenzulernen. Dies wird kein inszenierter Post jemals ersetzen können.
Foto: Victor Santos/ www.pexels.com