Im Gespräch #39: Gesunde Ernährung einfach genießen

Im Gespräch #39 Podcast

Mit Cynthia Mönch

Ich freue mich sehr, in dieser Folge mit Cynthia Mönch zum Thema gesunde Ernährung ins Gespräch zu gehen. Ein Thema, das uns alle angeht, beschäftigt, beglückt und manchmal vielleicht auch belastet.
Cynthia ist ausgebildeter Coach, psychologische Beraterin und Ernährungsberaterin und nimmt uns kompetent, empathisch und authentisch mit auf eine Reise durch die Wunderwelt der gesunden Ernährung, die sich aufgrund des Overkills an Trends und Infos oft wie ein Dschungel anfühlt.
Wir sprechen über Genussfähigkeit, die Freude am bunten Teller, Selbstliebe und ein gutes Körpergefühl und darüber wie wichtig es ist, uns in unserer Individualität auch beim Thema Ernährung zu sehen und wertzuschätzen.

Es geht hier nicht um einen dogmatisch-moralisch erhobenen Zeigefinger, der uns mit Verboten unter Druck setzt sondern darum, die individuell passende Ernährung zu finden, die uns im wahrsten Sinne gut ernährt und voller Energie durch den Tag bringt. Cynthia arbeitet hier sehr facettenreich und integriert mit Ihren KlientInnen häufig auch Themen wie Hypnose und die Arbeit mit blockierenden Glaubenssätzen, um den Weg freizumachen für eine gesunde Selbstfürsorge. Wie sie Ihre Beratungen empathisch und individuell gestaltet, erzählt sie uns gut verständlich und absolut alltagstauglich in kleinen Schritten. Ohne Druck und immer angepasst auf die individuellen Bedürfnisse und machbaren Parameter. Denn gute Ernährung soll Freude machen!

Hier kommst Du direkt zu unserem Gespräch.

Viel Spaß beim Hören!

Alle Infos zu Cynthia findest Du hier!
Mehr von mir gibt es auf hier.

Durch innere Heilung positive Erfahrungen ins Leben bringen

Selbstliebe stärken

Sind wir nicht alle ein bisschen Lars?

Lars fühlt sich elend. Und er versteht die Welt nicht mehr.
Diese Welt, die ihm ständig kurzzeitige Beziehungen schickt, die nach ein paar Monaten wieder in die Brüche gehen, weil seine Herzensdamen die Reißleine ziehen. Manche werfen ihm vor zu distanziert zu sein, andere haben ihn als Klammeraffen abgestempelt – wie Lars es auch macht, es scheint immer verkehrt zu sein. Und dabei will er es doch besonders gut machen. „Ich bin offenbar ein totaler Beziehungsversager“, meint er traurig-resigniert und lässt die schweren Schultern hängen. Die letzte Dame, der er sein Herz geschenkt hat, war verheiratet und hat letztlich ihrer Ehe den Vorrang gegeben. „Eigentlich war mir schon klar, dass das zum Scheitern verurteilt war, aber offensichtlich wohnt ihn mir nicht nur ein Blödmann sondern auch ein Masochist.“
Lars ist verdammt müde, aber mit sich selbst schimpfen kann er voller Energie und Überzeugung.
Und er möchte sich endlich selbst verstehen. Möchte an die Quelle seines ambivalenten Beziehungsverhaltens kommen und zur Abwechslung auch mal glücklich sein. Sich gut aufgehoben fühlen, geliebt werden, ankommen. „Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“

Nein, das ist es ganz und gar nicht.

Wir alle haben unsere eigene Geschichte, die unseren Umgang mit Beziehungen geprägt hat.
Lars ist von seiner Mutter allein großgezogen worden. Der Vater hat die beiden verlassen, als Lars 3 Jahre alt war. An ihn hat Lars nur dunkle Erinnerungen, aber er weiß noch, wie der Vater aus dem Haus ging und ihn im Flur zurückließ wie ein ausrangiertes Paar Schuhe. Aber er erinnert sich noch sehr genau, wie verzweifelt seine Mutter war und wie sie ihm einmal unter Tränen sagte, dass der Vater was Besseres gefunden habe und sie ihm nicht mehr genügten.  Dass sie einfach ersetzt und weggeworfen wurden.
Da begann der kleine Lars, sich Fragen zu stellen. War er nicht gut genug, so dass der Vater gehen wollte? War etwas mit ihm falsch? Was war denn besser woanders? Und der kleine Lars fand Antworten, die ihm als Kind absolut stimmig erschienen: Irgendetwas musste an ihm nicht wertvoll genug, nicht gut genug gewesen sein, so dass es dem Vater leichtfiel, seinen Sohn und die Mutter zu verlassen. Was genau das sein könnte, konnte Lars nicht identifizieren. Aber offenbar gab es Menschen, die diesen Makel nicht hatten, die es schafften, seinen Vater zu halten. Und damit trat Lars in einen Teufelskreis ein, der ihn bis heute immer wieder in seinen Bann zieht. In den Kreis der inneren Zweifel, Entwertung und Selbstdemontage, die sich im Außen laufend durch weitere Negativerfahrungen manifestiert.

Der Teufelskreis der Selbstdemontage

Wenn wir insbesondere in früheren Jahren unseres Lebens eine tiefe Verletzung erfahren und das schmerzhafte Gefühl erleben, nicht geliebt, nicht gewollt und scheinbar wertlos zu sein, ist das eine Wunde, die wir in der Regel nicht selbst heilen können. Und die sich auch nicht von selbst wieder schließt – egal wie viele Verdrängungsmechanismen und Ablenkungsmanöver wir dafür anwenden.
Und wenn wir dieser Wunde keinen Raum geben, geheilt zu werden, wird diese Ablehnungserfahrung oft zum Teil unserer Identität, zu einer negativen Annahme über uns Selbst, die wir uns täglich immer wieder aufs Neue durch unsere Gedanken und die daraus resultierenden Gefühle erzählen und konservieren. Gerade in jungen Jahren verfügen wir nicht über die intellektuellen Fähigkeiten, Ablehnungserfahrungen kritisch zu hinterfragen und differenziert zu betrachten. Als junger Mensch fühlen wir uns selbst dafür verantwortlich, denken, dass wir schuld sind und etwas an uns nicht gut genug war, um diese Erfahrung zu vermeiden. Dass wir es nicht wert waren, dass ein Mensch bei uns bleibt.
Dann sehen wir uns als die Person, die weder gewollt noch geliebt ist. Wir haben uns einen durch die Vergangenheit scheinbar begründeten und in der Gegenwart immer wieder reaktivierten Filter vor unsere Wahrnehmung gelegt. Und dieser Filter macht unsere Welt dunkel und eindimensional. Er drängt uns in eine Sackgasse, in welcher wir dauerhaft parken.

Der Dauerparkschein in der Sackgasse

Die Tragik liegt oft darin, dass wir durch diese verzerrte, sich verselbstständigte Wahrnehmung permanent nach weiteren Negativerfahrungen suchen, um unser gewohntes entwertetes Bild von uns zu bestätigen. Wir reproduzieren Ablehnungserlebnisse, um unsere Identität des nicht gewollten ungeliebten Menschen zu bestätigen, anstatt uns zu erlauben, uns vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Wir suchen den gewohnten Schmerz, unsere negative Komfortzone. Wir reiben uns eventuell an Beziehungen auf, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, suchen uns Menschen, die für uns nicht verfügbar sind und kämpfen den aussichtslosen Kampf um eine Liebe, die dieser Mensch uns nicht geben kann. Wir suchen in neuen Situationen die Bestätigung alten Schmerzes, statt diese Situationen als Chance zu nutzen, endlich den alten Schmerz zu heilen und unsere Einstellung sowie unser Verhalten zu verändern. Und am Ende finden wir uns wieder auf dem harten Boden der Desillusion, sind allein und haben uns eine weitere Enttäuschung auf unsere geplagten Schultern gepackt, die doch sowieso schon so viel zu tragen haben.
Aber es ist eine gewohnte Last, unser destruktiver Normalzustand. Und wir glauben, nichts Besseres zu verdienen, weil wir es nicht anders kennen – und unbewusst alles dafür tun, dass keine gegenteiligen positiven Erfahrungen in unser Leben treten können. Denn das hieße, dass wir unsere Identität der ungeliebten Person abgeben und uns neuen Sichtweisen öffnen müssten – und dagegen schiebt die Fülle unsere bisher gemachten negativen Erfahrungen einen wirksamen „vernünftig“ evaluierenden Riegel vor. Die bisherige Negativbilanz spricht für sich.

„Wir sind halt, wie wir sind – und echte Liebe erfahren eben nur die Anderen, oder?“

Es ist ein Teufelskreis. Und wir brauchen Unterstützung, um ihn zu bemerken, aufzudröseln und uns die Erlaubnis zu geben, auszusteigen. Es mag paradox klingen, dass es schwer sein soll, aus einem leidvollen Zustand auszusteigen, wenn man doch weiß, dass er einem gar nicht gut tut.
Aber die dunkle Macht lang verinnerlichter dysfunktionaler Muster, wirkt auf vielen Ebenen. Sie leitet unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Verhalten. Wenn wir diese Muster lange genug gefüttert haben, sind sie äußerst widerstandskräftig. Sie haben es sich bequem gemacht in einem Raum, den wir ihnen lange Jahre in unserem Inneren eingerichtet haben. Sie mögen keine neuen Mitbewohner und klammern sich sehr beharrlich in uns fest.
Aber wir dürfen diesen Mietvertrag kündigen. Wir dürfen neue konstruktive Muster bei uns einziehen lassen, die uns liebevoller und zuversichtlicher auf uns selbst schauen lassen und unser Selbstbild positiv verändern, so dass wir uns für positive neue Erfahrungen öffnen können. Aber dafür müssen wir ihnen die Tür aufmachen – und das gelingt am besten mit einem fachkundigen Dritten, der uns kompetent und empathisch auf dieser Reise begleitet.
Wenn wir uns einen neuen Raum geben, in welchem wir uns erlauben, gewollt und geliebt zu sein, werden wir automatisch unsere Gedanken und Gefühle verändern und mit Menschen anders interagieren. Wir bereiten den Boden für neue, positive Erfahrungen. Wir sähen eine neue Ernte, welche nicht wie zuvor zum Vertrocknen verdammt ist, weil wir sie nicht gießen konnten. Aber es braucht Zeit, diese neue Ernte aufgehen zu lassen. Wir brauchen Zeit, um unsere alten destruktiven Muster loszulassen, uns immer wieder zu erlauben, wertschätzend und zuversichtlich auf uns selbst zu schauen und Schönes zu verdienen. Uns diese Zeit und Geduld zu geben, ist gelebte Selbstliebe.

Niemand ist stets vor Verletzung sicher, aber mit einem starken Selbstwertgefühl und der daraus resultierenden Zuversicht verringern wir das Schmerzrisiko massiv. Wir und auch Lars dürfen mit allem rechnen. Auch mit dem Guten!

Foto: www.pexels.com

Wird schon, passt schon, so ist das Leben eben – der Fluch der Bagatellisierung

Die Invasion der traurigen Clowns

Die Invasion der traurigen Clowns

Meine Arbeit raubt mir jede Lebensfreude und lässt mich nachts nicht mehr schlafen – aber das gehört halt zum Erfolg dazu.
Ich habe solche Angst vor der Zukunft, dass ich manchmal kaum noch atmen kann, aber das wird schon wieder.
Meine Tochter räumt regelmäßig mein Konto leer, aber so sind die Kinder eben.
Ein geliebter Mensch hat mich nach Jahrzehnten ohne Begründung aus seinem Leben gestrichen und mir das Herz gebrochen. Aber da muss ich jetzt wohl durch.
Zu meinen chronischen Rückenschmerzen sind jetzt auch noch massive Nackenverspannungen hinzugekommen, aber passt schon irgendwie.

Derartige Äußerungen höre ich ständig. Im Freundeskreis, im Arbeitsumfeld und auch viel zu häufig von mir selbst. Bagatellisierung ist einer der beliebtesten Abwehrmechanismen, die unsere Psyche im Repertoire hat, um Abstand zu schaffen zwischen uns und einem Gefühl/ einer Situation, die uns massiv berührt und belastet. Dann machen wir dieses Gefühl klein, bügeln über die Situation drüber, verstecken unseren Schmerz, unseren Kummer und unsere Angst hinter weichgespülten allgemeinen Floskeln um unserem Gegenüber und vor allem uns selbst vorgaukeln, dass das alles nicht so tragisch ist. Dass Schwäche, Schmerz und Kummer nur andere Menschen wirklich treffen, aber wir jederzeit alles locker im Griff haben. Dass es doch immer noch viel schlimmer kommen kann und wir deshalb gefälligst die Kirche im Dorf lassen sollen.

Mach Dich klein und lass es glitzern

Bagatellisierung passt so wunderbar in unsere Instagram-gefilterte Welt, in der alles so megaschön einfach ist, wo wir in ständiger Fülle leben und sich jedes Problem durch den entsprechenden Wunsch ans Universum und einen veganen Power-Bowl von selbst löst.
Da ist kein Platz für Tiefgang oder Ehrlichkeit geschweige denn für einen längeren Leidensweg, für einen Prozess mit Hochs und Tiefs, der sogar auch schmerzhaft scheitern kann. Für unsere Zweifel, Abgründe, gebrochene Herzen und aufrichtige Trauer. Kein Raum für das Gefühl, dass uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird und wir – zumindest vorübergehend – ins Leere fallen, ohne dass sich der Fallschirm öffnet. Da muss es glitzern, bis einem die Augen brennen, und alles, was nicht passt, wird wegbagatellisiert, klein gemacht, im Sumpf der Bedeutungslosigkeit versenkt.
Wir haben uns angewöhnt, unsere Themen und Gefühle klein zu machen, weil wir uns oft an die ehrliche Konfrontation nicht rantrauen. Weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass wir vollkommen überfordert, körperlich am Limit oder zutiefst verletzt sind. Wir reden uns selbst ein, dass es kein Thema sei – und damit wir uns diese Lüge leichter glauben, erzählen wir sie auch allen Anderen. Und irgendwann wird diese bagatellisierende Kommunikation zum Automatismus. Das „aber passt schon“ kommt uns über die Lippen, ohne dass wir noch groß darüber nachdenken. Und dann ist die Welt scheinbar wieder geradegerückt. Bagatellisierung ist eine „Volkskrankheit“ geworden, die durch die grinsende Fratze der sozialen Netzwerke ständig weiterverbreitet wird und es sich in unserem täglichen Miteinander bequem gemacht hat.
Am Ende passt schon alles irgendwie. Irgendeinen banalen Kalenderspruch finden wir sicher, um unseren Schmerz spirituell angehaucht aufzuhübschen und darüber hinaus haben wir sicher den ein oder anderen disziplinierenden Glaubenssatz in uns, der uns einbläut, hart zu sein, uns selbst nicht zu wichtig zu nehmen, nicht klagen zu dürfen und das Leben verdammt nochmal nicht als Ponyhof zu betrachten. Und da es den meisten anderen Menschen genauso geht, bestätigen wir uns diese Illusion gern gegenseitig und streuen noch eine große Prise vorgetäuschte Lockerheit drüber.

Die Reise ins banale Nirgendwo

Aber wozu werden wir, wenn wir nicht den Mut haben, das, was uns als Menschen wirklich berührt, offen auszusprechen und ihm die Bedeutung zuzugestehen, die es verdient?
Wo kommen wir hin, wenn wir uns gegenseitig vorgaukeln, alles im Griff zu haben und diese Lügen gegenseitig noch verstärken?
Wie soll es uns gelingen, in echte und vertrauensvolle Verbindung mit anderen Menschen zu gehen, wenn wir unser verwundbares Menschsein unterdrücken und stattdessen zu Smiling-Zombies werden? Zu traurigen Clowns, die sich hinter einen dicken Maske verstecken, die keinen Blick mehr auf die wirkliche Verfassung zulässt?
Welche Entwicklung schlagen wir ein, wenn wir uns von uns selbst immer mehr entfremden und die Themen, die gesehen werden wollen, tief in uns verschließen und als Kleinigkeit herabwürdigen?

Es funktioniert nicht.

Wie jeder andere Abwehrmechanismus hat auch die Bagatellisierung eine sehr begrenzte Halbwertszeit. Sie funktioniert nicht ewig. Alles, was unsere Psyche abwehrt, kommt irgendwann zu uns zurück – in der Regel auf die harte Tour.
Wir werden einen Preis bezahlen, wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen und unsere Gefühle, Bedürfnisse und Verletzungen als Nichtigkeit abtun. Vielleicht werden wir krank, stoßen Menschen weg, die sich ehrlich um uns bemüht haben aber an unserer oberflächlichen Mauer abgeprallt sind. Die bereit waren uns komplett zu lieben und gegen unsere Angst keine Chance hatten. Vielleicht erreichen wir den bitteren Punkt der Wahrheit, dass uns die Bagatellisierung die wichtigsten Chancen unseres Lebens geraubt hat, als sie vor uns auf dem Tisch lagen.

Du bist wichtig.

Was wir fühlen ist wichtig und will Raum bekommen. Was uns passiert will gesehen und verarbeitet werden. Unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, Emotionen und Wünschen, Risiken und Chancen hat eine große Bedeutung. Für uns selbst und für die Menschen, mit denen wir wirklich in Verbindung sind. Wir verdienen es, uns wichtig zu nehmen und unser Leben mit Selbstliebe, Eigenverantwortung und Ambition zu führen. Und das geht nur, wenn wir den Mut haben, uns zu konfrontieren statt uns hinter Bagatellisierung zu verstecken.
Das hat nichts mit Arroganz, Überhöhung oder Überdramatisierung zu tun. Es ist eine erwachsene reife Sicht auf das Leben und die Überzeugung, dass konstruktives Hinsehen sinnvoller ist als feiges Wegducken und Drüberbügeln.
Ich habe mir ein „Stop-die-Bagatellisierung-Glas“ auf den Tisch gestellt. Immer wenn ich mich dabei ertappe, etwas das mich wirklich umtreibt, klein zu machen, immer wenn ich ein automatisches „aber passt schon“ hinter meine Belastung füge, werfe ich einen Euro rein, um alle 6 Monate das so entstandene Kapital zu spenden. Glücklicherweise wird das Glas immer langsamer voll. Spenden kann ich ja trotzdem😊

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Bin ich schön?

Innere Schönheit erkennen

Der Himmel ist grau, die Luft kalt, Nebel liegt in der Luft. Wir schreiben den 15. Januar 2022. Die ersten beiden Wochen des ersten Monats des neuen Jahres sind bereits schon wieder vergangen. Der Zauber des Neuanfangs ist zwar noch zu spüren, aber der Alltagstrott hat bereits wieder Einzug gehalten.
Marie und Tom haben sich beide fest vorgenommen, dass dieses Jahr vieles anders und vor allem besser werden soll. Nicht nur, was die Karriere und den Kontostand angeht. Nein, sie selbst möchten sich verbessern, wollen schöner werden und dadurch begehrenswerter.
Unabhängig voneinander sind Sie zu dem Schluss gekommen, dass sie mit ihrem aktuellen äußeren Erscheinungsbild zwar „ok“ sind – aber irgendwie doch nicht gut genug. Der Blick in den Spiegel offenbart ihnen keine Katastrophe, aber Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters, oder? Und das kann bekanntlich sehr kritisch beurteilen.

Die Dämonen da draußen schlafen nicht

Wenn man den Einflüsterungen von außen glauben mag, geht da noch eine ganze Menge mehr. Eine kleine innere Stimme versucht zwar, Tom und Marie zu sagen, dass sie individuell total in Ordnung sind, aber dieses kleine Stimmchen hat es gegen den Chor von Influencern und gut gemeinten fiesen Ratschlägen echt schwer.
Die Konkurrenz da draußen schläft nicht, beide sind Single – und mit Ü-30 sollte man sich ja sowie nicht mehr gehen lassen, um noch lange einigermaßen ansehnlich zu bleiben, oder? Davon abgesehen geht das Selbstbewusstsein bestimmt auch massiv und dauerhaft nach oben, wenn sie den Schönheitsidealen zumindest ein paar Millimeter näherkommen.
Tom hat von seinem Bruder zu Weihnachten ungefragt ein Abo für einen online-Fitnesskurs bekommen, Marie von ihrer besten Freundin einen Gutschein für eine Stil-Beratung. Das kann ja kein Zufall sein…
Der Bedarf einer Verschönerung scheint sichtbar zu sein. Dass solche Geschenke in erster Linie übergriffig sind und vermutlich mehr mit den Komplexen des Schenkenden als mit dem Beschenkten zu tun haben, lassen Tom und Marie außer Acht.
Also los geht’s. Hilft ja nichts. Wahre Schönheit soll zwar angeblich von innen kommen, aber darauf wollen sich die beiden in unserer oberflächlich gewordenen Welt lieber nicht verlassen.
Tom und Marie sind mit ihrem Anliegen nicht allein. Den Kampf um das perfekte Äußere fechten viele Menschen täglich frustriert aber verbissen aus – und die Schönheitsindustrie freut sich darüber. „Zum Glück“ sind auch diesmal wieder zuverlässig zum Jahresanfang jede Menge Medien, Zeitschriften, Influencer und sogenannte Coachingprogramme an unserer Seite, die uns scheinheilig erstmal zurufen, dass wir uns selbst lieben sollen, da wir einzigartig und genau richtig sind.

„You are perfect like you are!“

Das ist ein guter Einstieg, um uns erstmal an Bord zu kriegen, denn einzigartig und genau richtig trifft unsere Triggerpunkte und lässt die Selbstzweifel für einen kurzen Moment etwas leiser werden. Hier sind wir scheinbar gut aufgehoben, hier meint es jemand ehrlich gut mit uns.
Damit wir aber noch „einzigartiger“ werden und endlich unser volles Potenzial ausschöpfen, bekommen wir gerade zum Neuen Jahr unzählige Diäten, Fitnesstipps und Persönlichkeitsprogramme geliefert, die uns eine strahlende Ausstrahlung, ein umwerfendes Äußeres und Erfolg auf ganzer Linie versprechen. Damit das neue Jahr endlich mal zu UNSEREM wird und wir uns nicht mehr mit dem Durchschnitt zufriedengeben. Damit wir endlich auch mal das große Stück vom Kuchen abbekommen und nicht nur den trockenen Rand ohne Zuckerguss.
Wenn wir den goldenen Gral für uns finden wollen, ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Denn wir sind zwar irgendwie einzigartig – aber dann doch wieder nicht gut genug, um in dieser oberflächlichen Highspeed-Welt zu schönen Gewinnern zu werden. Und wer will schon einen hässlichen Verlierer? Natürlich wird diese Botschaft unter netten Plattitüden und wohlmeinenden Motivationssprüchen weichgespült, aber sie ist da und entfaltet ihre geißelnde Wirkung.

Die Suche nach dem goldenen Gral

Und schon sind wir wieder Gefangene des Teufelskreises, in dem sich Andere anmaßen, über unser Äußeres zu urteilen, unsere Schönheit in Frage stellen und uns etwas verkaufen möchten, damit wir willkürlich ausgewählten Schönheitskriterien endlich mal ein Stück näherkommen. Wie männliches und weibliches Selbstbewusstsein von offensichtlich sportsüchtigen Coaches anhand des perfekten Body-Maß-Index‘ bewertet wird, wie eine Falte mehr oder weniger über die eigene Liebenswürdigkeit und ein Leben in Glamour oder Dunkelheit entscheiden soll, ist erschreckend.
Vordergründig emanzipierte Frauenzeitschriften berichten fast ausschließlich über Schönheitsoperationen, den richtigen Zeitpunkt für Hyaluronunterspritzungen und die neueste Lowcarb-Diät, alles natürlich immer schön gesponsert. Pro Forma wird dann noch das Psychologiekapitel mit ein paar Achtsamkeitsübungen bestückt, damit wir immer schön bei uns bleiben und uns mit uns selbst wohlfühlen – auch wenn wir ja davor gelernt haben, dass wir jede Menge Verschönerungspotenzial und -bedarf haben. Quasi Achtsamkeit und Akzeptanz als Trostpflaster für unsere mangelhafte Perfektion.

Iss den Kuchen und tue Buße

Nach dem Rezept für den Schokokuchen (denn man soll sich ja auch mal was gönnen), folgt auf der nächsten Seite zuverlässig die Anleitung für den Detox-Tag und den veganen Superfruit-Smoothy. Alles schön visuell aufbereitet, aber immer mit dem gemeinen Subtext, dass zu viel Genuss dick und hässlich macht und wir deshalb schön aufpassen sollten. Denn sonst passen wir in die danach präsentierte XS-Mode nicht mehr rein – und wer will uns dann noch?
Tom hat es da nicht leichter. Den durchtrainierten Body, auf den Frauen angeblich fliegen, bekommt man nicht mit der Butterstulle und einer Stunde joggen pro Woche. Das kann man zwar machen, ist irgendwie auch niedlich, aber echte erfolgreiche Kerle sehen anders aus und bekommen am Ende das Top-Model. Und zu diesem sollen wir Frauen ja wiederum werden. Es nimmt einfach kein Ende.

Aber was heißt schön?

Sind wir wirklich so oberflächlich geworden, wie es uns die Schönheits- und Selbstoptimierungsindustrie glauben lassen will? Definieren wir Schönheit wirklich allein über äußere Kriterien und verbannen alle, die keine Modelmaße haben in die dunkle Ecke?
Dürfen wir uns nur noch perfekt gestylt beim Joggen oder mit strahlendem Grinsen vor dem angeblich ach so leckeren Detox-Bowl präsentieren? Oder geht es nicht eher um ein gutes Gefühl, das uns ein anderer Mensch gibt? Macht es einen Menschen nicht viel eher schön, wenn er es schafft, dass wir uns gesehen, freundlich behandelt und gut aufgehoben fühlen? Wenn wir mit der Person ein Gefühl der Wärme, der Sicherheit empfinden und uns deshalb jedes Mal freuen, sie zu sehen, weil wir wissen, es wird schön?
Es ist grotesk, dass die Coaches, die häufig damit werben, uns rundum selbstbewusst und zufrieden machen zu wollen, offenbar selbst gefangen sind in der Illusion, dass körperliche Perfektion innere Leere beseitigt und uns glücklich macht. Wenn die schon unzählige Male gehörten platten Kalendersprüche von ihren Verwendern perfekt gestylt, mit starrem Grinsen und freizügigen Outfits immer wieder in die Welt geblasen werden, ist die Frage, wer sein Schönheits- und Glücksempfinden überdenken sollte – der Sender oder der Empfänger?

Es ist wichtig, auf unsere Gesundheit zu achten. Und auch wenn es toll wäre, sich nur von Fett und Zucker zu ernähren, wissen wir alle, dass das nicht der Königsweg ist. Auch ein Leben auf der Couch ist nicht hilfreich, um lange fit zu bleiben. Wir alle sollten unseren Teil dazu beitragen, unseren Körper gesund zu halten.

Wir alle möchten geliebt werden, und ja: Wir sind visuelle Wesen. Es wäre einfach falsch zu behaupten, dass unser Äußeres überhaupt keine Rolle spielt. Wir alle haben Vorlieben, äußere Merkmale, die uns ansprechen. Aber heutzutage werden wir dazu angehalten, dem Äußeren die alleinige Hauptrolle zuzumessen und uns in der Illusion der erreichbaren Perfektion daran aufzureiben, abzuarbeiten und zu verzweifeln – um uns dann noch abhängiger zu machen von Produktversprechungen und selbsternannten Gurus.
Wenn wir Glück haben, dürfen wir ein langes Leben haben. Unsere Körper werden sich auf jeden Fall transformieren. Unsere Schönheit wird sich verändern. Daran wird kein Programm, kein Produkt etwas ändern können.

Der schöne Energie-Vampir und die Kraft der Brille

Unsere innere Einstellung ist die Brille, die wir unserem Gegenüber aufsetzen. Durch sie werden wir betrachtet. Wer von uns hat noch nicht erlebt, dass ein objektiv schöner Mensch uns sofort durch seine Arroganz abgestoßen hat und seine oberflächliche Schönheit von uns nicht mehr wahrgenommen wurde?
Wer hat noch nicht unter einem Energie-Vampir gelitten, der zwar nett aussah, aber uns durch seine negative Ausstrahlung sofort in die Flucht getrieben hat?
Wenn es uns gelingt, unseren Fokus nach innen zu richten und uns mit unseren Ecken, Kanten, Ängsten und Bedürfnissen anzunehmen und zu lieben, haben wir die Weichen für wahre Schönheit gestellt. Und das ist keine Plattitüde, sondern vielleicht die größte Herausforderung, vor der wir alle stehen. An manchen Tagen mag es uns leichtfallen, an anderen scheint es kaum zu schaffen. Aber nur, wenn wir diese Herausforderung annehmen, kommen wir mit uns ins Reine. Und das lässt uns stärker strahlen als jedes Glow-Treatment. Es ist dieses Strahlen, das uns schöne langfristige Beziehungen und Verbindungen schenkt – zu uns selbst und zu Anderen. Kein Kilo weniger auf der Waage, keine Gramm Muskelmasse mehr, keine Botoxspritze kann uns das bringen oder kompensieren. Eine schöne Hülle hat auf Dauer keinen Wert, wenn Sie leer ist.

Marie hat ihre Stilberatung abgesagt. Warum sollte sie sich von jemand Fremdem sagen lassen, welche Farben sie tragen darf?
Tom hat das Fitness-Abo nach 3 Monaten gekündigt. Die Typen da gingen ihm auf den Geist. Es geht auch anders. Zum Glück!

Das gefälschte Ich

Die dunkle Seite der Selbstdarstellung

Immer strahlendes Lächeln, phantastische Orte, dynamische sportliche Aktivitäten, perfekt fotografiertes Essen, gemütliche Auszeiten mit grünem Tee und veganem Avocadokuchen, erfolgreiche aussehende hippe Freunde und Spaß ohne Ende. Wenn man die Bilder auf Anjas Profil in den sozialen Netzwerken betrachtet, möchte man neidisch auf dieses perfekte Leben werden, wo offenbar alles spielend gelingt. Da fällt das Dauerlächeln leicht, oder?
Das Problem ist nur, dass Anja häufig gar nicht zum Lachen zumute ist, denn eigentlich ist sie oft einsam, hat Angst, dass Ihr Leben nicht in die richtige Richtung läuft und hätte gern einen Partner, mit dem Sie Ihr Leben teilen kann. Sie ist eben ein Mensch wie wir alle mit Höhen und Tiefen – nur die Tiefen sollen in der Außendarstellung nicht sichtbar werden. Hier soll alles glänzen, keine „Schwäche“ gezeigt werden. Denn für Matt statt Hochglanz kriegt man keine „Likes“ – und Likes bedeuten Liebe und Bestätigung in der virtuellen Welt, wo wir uns das ideale Bild von uns selbst einfach erschaffen und die Realität ausblenden können.
Das kann Anja perfekt. Ihre Selbstdarstellung ist erfolgreich, zumindest den Maßstäben der Network-Scheinrealität entsprechend.

Wenn man Anja fragt, was sie sich am meisten wünscht, antwortet sie: „Ich wünsche mir endlich einen Partner, der mich so liebt wie ich bin, bei dem ich mich fallen lassen und auch mal einen schlechten Tag haben kann.“ Aber genau dieses „geliebt werden, wie sie ist“, lässt sie nicht zu, indem sie permanent ein gefälschtes Bild von sich zeichnet, ständig befeuert und nach außen vermittelt.

Dauergrinsende Roboter sind nicht echt

Es kostet viel Mut, uns authentisch zu zeigen und dadurch verletzbar zu machen. Umso schwerer fällt es in den Zeiten ständiger Selbstoptimierung, Selbstdarstellung und unseligen Vergleichen mit anderen (vermutlich genauso künstlich aufgehübschten) Profilen. Wir setzen uns unter Druck, immer perfekt funktionieren und aussehen zu müssen und dauergrinsenden Robotern gleich alles mit Leichtigkeit zu schaffen. Diesen Eindruck von Leichtigkeit und Kraft können wir nochmal besonders fördern, indem wir hin und wieder ein Foto von uns beim Meditieren posten – auch diesen Trend darf man ja nicht verpassen.
Wie können wir erwarten, dass uns Menschen wirklich kennen, lieben und akzeptieren, wenn wir es selbst nicht tun in der Angst, uns echt zu zeigen? In der Welt sozialer Netzwerke soll alles „real“ sein und ist häufig zum Abgewöhnen verlogen.
Warum geben wir anderen Menschen häufig nicht die Chance, sich von unserem wahren Ich begeistern zu lassen? Glauben wir, dieses wäre nicht spannend, schön oder erfolgreich genug?

Authentisch sein kostet Mut

Es ist oft schmerzhaft, sich einzugestehen, dass es im Leben manchmal nicht so läuft, wie wir es uns wünschen, umso mehr, wenn wir den Eindruck haben, dass es bei allen anderen Menschen ständig voran geht. Es tut weh, durch dunkle Zeiten zu gehen, uns allein zu fühlen oder nicht alles im Griff zu haben. Wieviel wir davon zeigen, steht uns selbstverständlich frei.
Definitiv kontraproduktiv ist aber, uns selbst zu verleugnen, indem wir anderen vorspielen, alles wäre toll.
Automatisch antworten wir meistens auf die Frage „wie geht’s?“ mit „gut!!“ – auch wenn uns vielleicht eigentlich zum Heulen zumute ist. Wir posten strahlende Smileys und dankbar gefaltete Hände, obwohl wir uns vielleicht hundeelend fühlen. Alles muss irgendwie „mega“ sein, und wir machen mit, weil wir nicht aus diesem geschönten Raster fallen wollen. Hiermit verspielen wir aber jede Chance auf echte Anteilnahme, Hilfe und Bindung.
Anja wirkt nachdenklich bei diesem Impuls.
„Das klingt total logisch, merkwürdig, dass mir das gar nicht aufgefallen ist. Dieses positive Getue ist bei mir schon eine Art Automodus geworden, darüber denke ich gar nicht mehr nach. Helfen tut es mir letztlich aber nicht, im Gegenteil, ich finde dieses Vorgaukeln, dass alles toll ist, häufig unglaublich anstrengend.“

Pause machen

Menschen sind soziale Wesen, wir möchten uns zugehörig fühlen, in Gemeinschaft mit Anderen sein. Soziale Netzwerke sind meist eine Glitzerwelt aus gesteuerter, oft gefälschter Selbstdarstellung. Sie folgen Ihrer eigenen Dynamik und ihren eigenen Maßstäben. Wir möchten mitschwimmen in diesem Fluss schöner Bilder und unseren eigenen Beitrag dazu leisten. Uns selbst suggerieren, dass wir das Leben, das wir auf sozialen Netzwerken in Szene setzen, toll und spannend ist. Vielleicht entwickeln wir sogar eine Art Sucht nach positiver Resonanz in Form roter Herzchen von Menschen, die wir überhaupt nicht kennen. Wir möchten dabei sein, das entspricht unserem Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. Dafür sind wir oft bereit, den hohen Preis der Selbstverleugnung zu zahlen und merken gar nicht, wie sehr wir uns letztlich damit von uns selbst und anderen isolieren.
Natürlich entscheiden wir alle selbst darüber, was wir wo und wie von uns preisgeben, aber letztlich sehnen sich die meisten Menschen nach Geborgenheit und Authentizität. Soziale Netzwerke können diese Geborgenheit in der Regel nicht bieten, sie nennen sich sozial und bleiben häufig doch anonym. Sie arbeiten oft mit einer Masse von Menschen, aber nicht mit echter Verbindung.

Anja möchte eine Pause von der inszenierten Selbstdarstellung einlegen. „Ich glaube, das tut mir mal gut und lässt mich zur Ruhe kommen. Schließlich gibt es auch eine echte Welt da draußen. Die ist vielleicht nicht immer schön, aber wenigstens ohne Filter“.
Vielleicht sollten wir uns diese Pause alle hin und wieder gönnen und Anderen die Freude machen, uns wirklich live und in Farbe kennenzulernen. Dies wird kein inszenierter Post jemals ersetzen können.

Foto: Victor Santos/ www.pexels.com