Warum Ghosting nicht nur feige sondern ein wahres Armutszeugnis ist
Mark lässt resigniert die Schultern hängen, seine Stimme ist tonlos. Eigentlich ist er mit seinen 1,90 eine imposante Erscheinung, im Moment wirkt er aber wie ein hilfloses Kind, klein, niedergeschlagen und ratlos.
Mark ist Opfer eines leider sehr aktuellen Trends geworden, wenn es um das bequeme Beenden einer Beziehung geht. Er wurde ohne ein Wort verlassen, auf neudeutsch: Er wurde „geghostet“.
Seine Freundin hat sich vom Acker gemacht, ohne die Trennung vorab im Entferntesten anzudeuten. Dies wurde ihr durch die Tatsache, dass Mark und sie eine Wochenendbeziehung führten, sicher zusätzlich erleichtert.
„Alles war gut, wir verstanden uns prächtig, haben Pläne gemacht, viel Zeit zusammen verbracht. Ich habe beim besten Willen keine Spannung oder Trennungsabsicht bemerken können. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, sagte sie noch „bis Freitag“, gab mir einen Kuss und stieg in den Zug.“
Dies passierte vor 2 Monaten. Seitdem herrscht absolute Funkstille. Sie reagierte auf keinerlei Nachrichten oder Anrufe, und vor zwei Wochen sah Mark, dass sie ihn aus sämtlichen Kontakten und Netzwerken gelöscht und zusätzlich blockiert hat.
Allein mit dem Geist
Er ist allein mit seinen Zweifeln, seiner Trauer, seiner Hilflosigkeit, seiner Wut und seiner Orientierungslosigkeit. Seine Freundin ist weg und schwebt dennoch wie ein böser Geist über ihm und seinem Selbstbewusstsein.
„Wie kann man jemandem so etwas antun, wie kann man es mit sich selbst vereinbaren, sich so feige zu verpissen und den anderen komplett allein zu lassen ohne die geringste Erklärung? War ihr unsere gemeinsame Zeit denn nicht mal ein anständiges Schlussmachen wert? Wie konnte ich mich nur so täuschen? Und wie soll ich wieder in anderen Beziehungen Vertrauen finden?“
Mark ist wütend, fassungslos und vollkommen verunsichert – und das völlig zu Recht.
Wenn wir derart passiv-aggressiv verlassen werden, stellt das unsere Werte von respektvollem Miteinander und Ehrlichkeit genauso auf den Kopf wie unser Selbstbewusstsein. Wir hinterfragen vielleicht unsere eigene Liebenswürdigkeit, unseren Selbstwert, unser Urteilsvermögen. Wir hätten so viele Fragen, aber der Geist verwehrt uns die Antworten.
Ghosting ist unglaublich schmerzvoll für den Verlassenen und es kann sehr lange dauern, eine derart traumatische Erfahrung zu verkraften. Wir sind gefühlt ins offene Messer gelaufen, haben vertraut und wurden extrem enttäuscht und verletzt. Wir möchten verstehen, was die andere Person dazu getrieben hat und werden radikal aus dem Leben des anderen gestrichen. Antworten werden uns radikal verweigert. Empathie scheint für den Geist ein Fremdwort zu sein.
Mark hat Tränen in den Augen, während er über seine Erfahrung spricht, manchmal ballt er auch die Faust und seine Stimme wird wieder kräftiger. Es ist eine emotionale Achterbahn, und der frühere Partner ist ohne ein Wort ausgestiegen. Wir müssen die Loopings allein drehen.
Die richtige Entscheidung treffen
Es ist wichtig, dass wir uns die Zeit geben, diese Gefühle zuzulassen und auszuleben statt sie zu verdrängen. Mit Menschen, die uns guttun, darüber zu reden, um nach und nach andere Perspektiven zuzulassen und aus uns selbst heraus die Entscheidung zu treffen, dass wir Menschen, die sich derart grausam verhalten, keinen Platz in unserem Leben erlauben. Wieder lernen, uns zu öffnen und zu vertrauen. Denn die Wahrheit ist: Wer sich nicht anders zu helfen weiß, als Menschen auf derart radikale Weise vor den Kopf zu stoßen und keinerlei Kommunikation zuzulassen, hat große soziale Defizite. Offene Kommunikation und Konfrontation stellen für diese Menschen eine so große Überforderung dar, dass Sie flüchten ohne Rücksicht auf Verluste und den Schaden, den sie anrichten. Dieses große Maß an sozialer Inkompetenz und fehlender Empathie und vermutlich auch massiver Bindungsangst ist schmerzvoll für den Verlassenen, aber auf Dauer noch schmerzhafter für den Ghost. Vermutlich wird dieser „gute“ Entschuldigungen für sein armseliges Verhalten finden, vielleicht rechtfertigt der Geist sein Verschwinden mit seinem enormen Unabhängigkeitsdrang, dem Zeitgeist der multioptionalen Welt, der Erlaubnis, dass er es sich „auch mal einfach machen darf“.
Vielleicht hat der Geist selbst schlechte Erfahrungen erlebt und sich diese zu eigen gemacht. All dies können Erklärungen sein aber keine Entschuldigungen. Denn am Ende hat jeder die Wahl, wie er seine Mitmenschen behandelt – respektvoll und anständig oder feige und verletzend. Wer ghosted wird am Ende selbst allein bleiben.
Dank Friedmann Schulz von Thun und seinen 4 Kanälen der Kommunikation wissen wir, dass jede Äußerung den Aspekt der Selbstoffenbarung beinhaltet. Die bedauernswerte Aussage, die ghostende Menschen durch ihr Verhalten über sich selbst machen, spricht für sich.
Dies konnte auch Mark nach und nach für sich akzeptieren. „Auch wenn es immer noch weh tut, kann ich ehrlich sagen, dass ich sie auf keinen Fall wieder in meinem Leben haben möchte, und das fühlt sich verdammt befreiend an!“
Ein Geist kann uns lange verfolgen, aber er muss nicht gewinnen. Denn letztlich treffen wir selbst die Entscheidung, ihn aus unserem Leben zu verbannen und Platz für jemand Besseres zu schaffen.
Am Ende bleibt er nichts als ein Schatten, ohne Rückgrat, ohne Kontur und hohl.