Wird schon, passt schon, so ist das Leben eben – der Fluch der Bagatellisierung

Die Invasion der traurigen Clowns

Die Invasion der traurigen Clowns

Meine Arbeit raubt mir jede Lebensfreude und lässt mich nachts nicht mehr schlafen – aber das gehört halt zum Erfolg dazu.
Ich habe solche Angst vor der Zukunft, dass ich manchmal kaum noch atmen kann, aber das wird schon wieder.
Meine Tochter räumt regelmäßig mein Konto leer, aber so sind die Kinder eben.
Ein geliebter Mensch hat mich nach Jahrzehnten ohne Begründung aus seinem Leben gestrichen und mir das Herz gebrochen. Aber da muss ich jetzt wohl durch.
Zu meinen chronischen Rückenschmerzen sind jetzt auch noch massive Nackenverspannungen hinzugekommen, aber passt schon irgendwie.

Derartige Äußerungen höre ich ständig. Im Freundeskreis, im Arbeitsumfeld und auch viel zu häufig von mir selbst. Bagatellisierung ist einer der beliebtesten Abwehrmechanismen, die unsere Psyche im Repertoire hat, um Abstand zu schaffen zwischen uns und einem Gefühl/ einer Situation, die uns massiv berührt und belastet. Dann machen wir dieses Gefühl klein, bügeln über die Situation drüber, verstecken unseren Schmerz, unseren Kummer und unsere Angst hinter weichgespülten allgemeinen Floskeln um unserem Gegenüber und vor allem uns selbst vorgaukeln, dass das alles nicht so tragisch ist. Dass Schwäche, Schmerz und Kummer nur andere Menschen wirklich treffen, aber wir jederzeit alles locker im Griff haben. Dass es doch immer noch viel schlimmer kommen kann und wir deshalb gefälligst die Kirche im Dorf lassen sollen.

Mach Dich klein und lass es glitzern

Bagatellisierung passt so wunderbar in unsere Instagram-gefilterte Welt, in der alles so megaschön einfach ist, wo wir in ständiger Fülle leben und sich jedes Problem durch den entsprechenden Wunsch ans Universum und einen veganen Power-Bowl von selbst löst.
Da ist kein Platz für Tiefgang oder Ehrlichkeit geschweige denn für einen längeren Leidensweg, für einen Prozess mit Hochs und Tiefs, der sogar auch schmerzhaft scheitern kann. Für unsere Zweifel, Abgründe, gebrochene Herzen und aufrichtige Trauer. Kein Raum für das Gefühl, dass uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird und wir – zumindest vorübergehend – ins Leere fallen, ohne dass sich der Fallschirm öffnet. Da muss es glitzern, bis einem die Augen brennen, und alles, was nicht passt, wird wegbagatellisiert, klein gemacht, im Sumpf der Bedeutungslosigkeit versenkt.
Wir haben uns angewöhnt, unsere Themen und Gefühle klein zu machen, weil wir uns oft an die ehrliche Konfrontation nicht rantrauen. Weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass wir vollkommen überfordert, körperlich am Limit oder zutiefst verletzt sind. Wir reden uns selbst ein, dass es kein Thema sei – und damit wir uns diese Lüge leichter glauben, erzählen wir sie auch allen Anderen. Und irgendwann wird diese bagatellisierende Kommunikation zum Automatismus. Das „aber passt schon“ kommt uns über die Lippen, ohne dass wir noch groß darüber nachdenken. Und dann ist die Welt scheinbar wieder geradegerückt. Bagatellisierung ist eine „Volkskrankheit“ geworden, die durch die grinsende Fratze der sozialen Netzwerke ständig weiterverbreitet wird und es sich in unserem täglichen Miteinander bequem gemacht hat.
Am Ende passt schon alles irgendwie. Irgendeinen banalen Kalenderspruch finden wir sicher, um unseren Schmerz spirituell angehaucht aufzuhübschen und darüber hinaus haben wir sicher den ein oder anderen disziplinierenden Glaubenssatz in uns, der uns einbläut, hart zu sein, uns selbst nicht zu wichtig zu nehmen, nicht klagen zu dürfen und das Leben verdammt nochmal nicht als Ponyhof zu betrachten. Und da es den meisten anderen Menschen genauso geht, bestätigen wir uns diese Illusion gern gegenseitig und streuen noch eine große Prise vorgetäuschte Lockerheit drüber.

Die Reise ins banale Nirgendwo

Aber wozu werden wir, wenn wir nicht den Mut haben, das, was uns als Menschen wirklich berührt, offen auszusprechen und ihm die Bedeutung zuzugestehen, die es verdient?
Wo kommen wir hin, wenn wir uns gegenseitig vorgaukeln, alles im Griff zu haben und diese Lügen gegenseitig noch verstärken?
Wie soll es uns gelingen, in echte und vertrauensvolle Verbindung mit anderen Menschen zu gehen, wenn wir unser verwundbares Menschsein unterdrücken und stattdessen zu Smiling-Zombies werden? Zu traurigen Clowns, die sich hinter einen dicken Maske verstecken, die keinen Blick mehr auf die wirkliche Verfassung zulässt?
Welche Entwicklung schlagen wir ein, wenn wir uns von uns selbst immer mehr entfremden und die Themen, die gesehen werden wollen, tief in uns verschließen und als Kleinigkeit herabwürdigen?

Es funktioniert nicht.

Wie jeder andere Abwehrmechanismus hat auch die Bagatellisierung eine sehr begrenzte Halbwertszeit. Sie funktioniert nicht ewig. Alles, was unsere Psyche abwehrt, kommt irgendwann zu uns zurück – in der Regel auf die harte Tour.
Wir werden einen Preis bezahlen, wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen und unsere Gefühle, Bedürfnisse und Verletzungen als Nichtigkeit abtun. Vielleicht werden wir krank, stoßen Menschen weg, die sich ehrlich um uns bemüht haben aber an unserer oberflächlichen Mauer abgeprallt sind. Die bereit waren uns komplett zu lieben und gegen unsere Angst keine Chance hatten. Vielleicht erreichen wir den bitteren Punkt der Wahrheit, dass uns die Bagatellisierung die wichtigsten Chancen unseres Lebens geraubt hat, als sie vor uns auf dem Tisch lagen.

Du bist wichtig.

Was wir fühlen ist wichtig und will Raum bekommen. Was uns passiert will gesehen und verarbeitet werden. Unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, Emotionen und Wünschen, Risiken und Chancen hat eine große Bedeutung. Für uns selbst und für die Menschen, mit denen wir wirklich in Verbindung sind. Wir verdienen es, uns wichtig zu nehmen und unser Leben mit Selbstliebe, Eigenverantwortung und Ambition zu führen. Und das geht nur, wenn wir den Mut haben, uns zu konfrontieren statt uns hinter Bagatellisierung zu verstecken.
Das hat nichts mit Arroganz, Überhöhung oder Überdramatisierung zu tun. Es ist eine erwachsene reife Sicht auf das Leben und die Überzeugung, dass konstruktives Hinsehen sinnvoller ist als feiges Wegducken und Drüberbügeln.
Ich habe mir ein „Stop-die-Bagatellisierung-Glas“ auf den Tisch gestellt. Immer wenn ich mich dabei ertappe, etwas das mich wirklich umtreibt, klein zu machen, immer wenn ich ein automatisches „aber passt schon“ hinter meine Belastung füge, werfe ich einen Euro rein, um alle 6 Monate das so entstandene Kapital zu spenden. Glücklicherweise wird das Glas immer langsamer voll. Spenden kann ich ja trotzdem😊

Foto: www.pexels.com

Frau mit ohne Stimme! Wie ich erfahren habe, wie viel ich eigentlich sagen möchte, wenn ich es nicht kann.

Trau Dich, laut zu werden!

Und was ich daraus für die Zukunft mitnehmen will.

Ich ohne Stimme.

Eine schwere Erkältung hat mich mal wieder dank einer Klimaanlage erwischt, und abweichend von meinen bisherigen Erkältungserfahrungen durfte ich mich diesmal weniger mit Schnupfen herumschlagen, dafür aber mit Halsschmerzen und einer Heiserkeit, die mich 3 Tage mit einem kompletten Stimmverlust „beschenkte“.
So oft reden wir heutzutage von Stille, die wir uns im Innen und im Außen wünschen, aber als ich zum still-sein verdammt war, fühlte sich das alles andere als gut an. In Zeiten, in denen wir gefühlt sowieso nur noch über Messenger-Dienste und dumme Emoticons kommunizieren und uns besonders gern unangenehmen Themen und direkter Konfrontation entziehen, sollte das mangelnde Reden eigentlich kein Problem sein, oder?Aber es war für mich ein Problem. Ein großes sogar. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – ich gebe ehrlich zu, dass sich meine stummen Tage weniger golden, dafür aber rostig und dumpf anfühlten.

Machtlos stumm.

Ich fühlte mich meiner unmittelbaren Wirksamkeit beraubt, konnte mich verbal nicht ausdrücken, fühlte mich machtlos. Und einsam. Als ob ich von allen Anderen durch eine dicke Glaswand getrennt wäre, und kein Laut zu ihnen durchdrang. Ich wollte so viel mitteilen, nicht alles bahnbrechend wichtige Dinge, aber viele kleine Themen, Fragen, Aufmerksamkeiten loswerden, in direkten Kontakt gehen – und es war unmöglich. Das Telefon blieb unbeantwortet, die Voicemail-Funktion ungenutzt, und der Gang zum Bäcker, um die Trost-Zimtschnecke zu holen, musste ausfallen.
Ich bin von einem unglaublich liebevollen, fürsorglichen und starken Netzwerk beschenkt. Natürlich war ich auch in diesen Tagen nicht wirklich einsam. Aber geschriebene Worte und Smileys können den direkten Austausch, den Klang einer Stimme, die zwischenmenschliche Energie und Nähe eben doch nicht ersetzen. Als ich wie ein junger Kuckuck das erste Krächzen wieder rausbrachte, war das tatsächlich, als wäre ich neu aus dem Ei geschlüpft. Nie hätte ich gedacht, dass drei Tage ohne Stimme so lang sein können.

Vom Müllschlucker zum Spiegel

Aber was nehme ich aus meiner stimmlosen Erfahrung mit?
In mir ist jede Menge los, unzählige Gedanken und Gefühle tanzen einen ständigen Tanz. Mal einen feurigen Tango, mal einen gemütlichen Walzer, meistens chaotischen Freestyle. Nicht alles ist der Rede wert, vieles erledigt sich von selbst und verändert sich ständig – himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Und ja, manchmal könnte es in mir durchaus stiller sein.
Viele Menschen, die mich nicht besonders gut kennen, kategorisieren mich als ruhig – und sind dann ganz überrascht, wenn ich mal laut werde. Das ist vollkommen in Ordnung. Nicht jeder muss und soll mich gut kennen, und ich empfinde das Wort „ruhig“ nicht als negatives Label, sondern gerade in diesen lauten Zeiten, wo sich jeder in den „sozialen“ Netzwerken  (meist unnötig) zu Wort meldet und sinnbefreite Plattitüden raushaut, als positives Merkmal. Ich erlaube mir häufig, erstmal zu beobachten und mir ein Bild zu machen, bevor ich mich äußere.

Aber ich habe viel zu sagen. Auf meinem Human Design Chart habe ich eine direkte Verbindung von meinem Selbst-Zentrum zur Kehle. Mir fällt es unglaublich leicht, Fremdsprachen zu lernen. Reden und mich ausdrücken können liegt in meiner Natur. Warum tue ich es dennoch manchmal nicht – auch wenn ich es könnte und sollte? Warum bleibe ich bisweilen gerade dann leise, wenn ich laut werden sollte? Gerade dann, wenn ich für mich und meine Bedürfnisse einstehen sollte, wenn mein ganzes Herz an einer Person oder einer Sache hängt und ich etwas oder jemanden so sehr will, dass es mir bisweilen den Atem raubt? Ist es die Angst vor Zurückweisung, vor Verletzung? Bleibe ich dann lieber still, um keine Angriffsfläche zu bieten, anstatt stimmlich Vollgas zu geben und mich klar zu positionieren? Und ist es wirklich besser, Frust und Enttäuschung wie ein Müllschlucker in mich rein zu fressen anstatt sie dem Anderen aktiv zu spiegeln?
Die aus der Passivität resultierende Lähmung in mir ist oft schwerer auszuhalten als die Reaktion des Anderen auf mein ehrliches Statement. Nichts ist frustrierender als die Frage: „Was wäre passiert, wenn ich mich getraut hätte, offen zu sprechen?“

Achte auf Deine Worte

Die berühmte Simone de Beauvoir sagte einmal:

„Frauen (Menschen), die nichts fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts.

Und sie hat Recht damit: Wenn ich mir verwehre, laut zu werden, meine Stimme zu erheben, wo ich es wichtig finde, beraube ich mich jeder Möglichkeit zu Gestaltung und nehme mir selbst die Chance auf ein positives Ergebnis. Denn Achtung: Es könnte ja gut werden. Es könnte ja sein, dass ich das bekomme, was ich will – wenn ich die verdammte Angst vor der negativen Resonanz überwinde. Dies habe ich mir schon lange auf die Fahnen geschrieben. Mal gelingt es mir gut, mal darf ich noch üben.
Natürlich sagt sich das oft leichter, als es getan ist. Wer diesen Blog hier aufmerksam liest und hört, weiß, wie wichtig es ist, unsere eigenen inneren Muster zu erkennen und zu hinterfragen, um zu einer Veränderung unseres Verhaltens fähig zu sein.

Laut sein, wann ich es will

Ich muss nicht immer laut werden. Ich achte sehr genau darauf, meine Energie nicht zu verschwenden. In meinen Augen unwichtige und ergebnislose Konversationen gehe ich nicht ein. Ich muss nicht wie ein aufgeregter Hahn auf jeden Misthaufen springen und rumschreien. Ich beteilige mich nicht an unsinnigen Grundsatzdiskussionen, die von arroganter Silobildung und Dummheit geprägt sind. Ich habe nicht das Bedürfnis, mich ständig sichtbar zu machen, alles zu teilen – in Zeiten des digitalen Exhibitionismus bin ich damit offenbar Teil einer sehr kleinen Spezies geworden, die aber hoffentlich nicht vom Aussterben bedroht ist. Es gibt viele Gedanken und Gefühle, die ich gern mit mir selbst teile – oder mit einem sehr kleinen exklusiven Kreis.
Aber ich kann und werde laut werden, wenn ich will. Und ich will und werde in Zukunft öfter von dieser Fähigkeit Gebrauch machen.

Also danke Erkältung für diese Erkenntnis! Und jetzt darfst Du gern wieder gehen.

Ich habe diesen Artikel konsequent aus meiner ganz persönlichen Ich-Perspektive geschrieben, weiß aber sehr genau, dass das Thema „laut werden“ sehr viele von uns betrifft.

Lasst gern von Euch hören, wie Ihr dazu steht!

Bild: www.pexels.com